Zur Behördengeschichte und Quellenkunde der päpstlichen Diplomatie in der Schweiz
Luzerner Historische Veröffentlichungen Band 32.
In Koedition mit Collectanea Archivi Vaticani 40.
rex verlag luzern/stuttgart.
ca. 450 Seiten. Karten, Leinen, 68.-
ISBN 3-7252-0650-3
Über das Wirken der päpstlichen Nuntien in der Schweiz ist bis anhin sehr wenig bekannt, obwohl reiche und der Forschung zugängliche Quellenbestände im Vatikanischen Geheimarchiv in Rom erschöpfend Auskunft bieten. Der Historiker und Theologe Urban Fink gibt im vorliegenden Buch erstmals umfassend Auskunft über die institutionellen Rahmenbedingungen der Luzerner Nuntiatur, über die Umstände ihrer Gründung, ihre Aufgaben, ihre Ziele und Hilfsmittel.
Ein historischer Abriss gewährt aufschlussreiche Einblicke in die Grundzüge der päpstlichen Diplomatie in der Schweiz. Nach einer schwierigen Gründungsphase im ausgehenden 16. Jh. gelang den Nuntien nur in der ersten Hälfte des 17. Jh. eine einvernehmliche und deshalb erfolgreiche Zusammenarbeit mit den katholischen Kantonen. Danach wuchsen selbst im katholischen Raum die Interessengegensätze zwischen der weltlichen und geistlichen Gewalt so stark, dass der Erfolg der Nuntien im 18. und 19. Jh. oft geringfügig war und weder dem Aufwand noch den Zielen entsprach.
Mehrere Einzelbeispiele aus dem 18. Jahrhundert, die einen Einblick in die Alltagsgeschäfte der Nuntiatur erlauben, verdeutlichen dies eindringlich: Nach dem Zweiten Villmergerkrieg im Jahre 1712 war die Zusammenarbeit der Nuntien mit den katholischen Kantonen mehrmals stark gefährdet und meist unergiebig. Kleinlich anmutende Zwistigkeiten verhinderten oftmals eine gute Zusammenarbeit unter den sich oft konkurrierenden geistlichen und weltlichen Magistraten.
Das Wirken der italienischen Nuntien in der Schweiz ist jedoch erst vor dem Hintergrund ihrer adligen Herkunft, ihrer Ausbildung und Karriere verständlich. Die Lebensgeschichten der einzelnen Nuntien bringen dabei Unvermutetes zu Tage. Erst mit der Übernahme ihrer hochrangigen diplomatischen Aufgabe liessen sich die meisten Nuntien zu Priestern weihen - eine Berufswahl im Rahmen der Familienpolitik. Sie galten als Kenner des kirchlichen und zivilen Rechts, waren aber im allgemeinen theologisch schlecht geschult.
Den für Italiener ungewohnten politischen und konfessionellen Verhältnissen in der Schweiz begegneten die meisten Nuntien mit Misstrauen. Sie bemühten sich kaum um ein vertieftes Verständnis ihrer fremdartigen Umwelt, weil ihr Aufenthalt in Luzern nur ein Zwischenschritt auf ihrem Weg zum Kardinalat war, das sie wieder ins Zentrum der Weltkirche bringen sollte.
Ein ausführlicher Anhang gibt hilfreiche Hinweise zur Archivgeschichte und Quellenkunde der päpstlichen Diplomatie in der Schweiz. Der gegenwärtige Nuntius in der Schweiz, Erzbischof Dr. Karl-Josef Rauber, schlägt in einem Nachwort die Brücke zur päpstlichen Diplomatie der Gegenwart.
Ein ausführliches Register macht die detailreiche Arbeit zudem zu einem Nachschlagewerk, das nicht nur viele neue Hinweise zur Schweizer Kirchengeschichte der Neuzeit enthält, sondern auch einem erweiterten interessierten Publikum neue Zusammenhänge aufzeigt.
Aus dem Inhaltsverzeichnis:
Zum gegenwärtigen Forschungsstand – Fragestellung der vorliegenden Arbeit
1. Übersicht über die Geschichte der Luzerner Nuntiatur
1.1. Das Umfeld für die Entstehung der Luzerner Nuntiatur: bestimmende Voraussetzungen in der Schweiz des 16. Jahrhunderts
Die besondere Situation der Schweiz – Das Umfeld der Luzerner Nuntiatur – Graubünden und Veltlin – Das Bistum Konstanz – Das Schweizer Staatskirchentum – Die Rezeption des Tridentinischen Konzils – Exkurs: Die Bedeutung der Rezeption des Trienter Konzils für Rom und die Luzerner Nuntiatur im 19. Jahrhundert – Die Reformbedürftigkeit des Klerus und der Gläubigen
1.2. Anfänge der Reformnuntiatur in Luzern
Die Nuntiatur Bonomi in der Schweiz
1.3. "Gründungsphase" 1586–1605
Der erste ständige Nuntius: Giovanni Battista Santonio – (Schwierige) Visitationen als kurzfristiges Hauptmittel der Reform – Die Wiederherstellung der kirchlichen Hierarchie als Mittel der langfristigen Glaubenssicherung – Zunehmender Reformwille im Bistum Konstanz – Die langfristige Durchsetzung der tridentinischen Reform
Einflüsse im Tessin, Misox, Calancatal und Puschlav
1.4. Konsolidierung und Erlahmung 1605–1712
Die Gründung der Helvetischen Benediktinerkongregation – Die Verehrung von Carlo Borromeo in der Deutschschweiz – Die Bündnerwirren und die Veltlinfrage – Bauern- und Erster Villmergerkrieg – Zunehmendes Staatskirchentum – Der Luzerner Steuerstreit von 1691 – Der Morea-Feldzug 1688
1.5. Streit und Distanzierung 1712–1770/1798
1.6. Ausarbeitung einer neuen Ordnung 1803–1830
1.7. Kampf und Untergang 1830–1873
Die Aargauer Klosteraufhebung und ihre Folgen – Problemfall Bistum Basel – Mischehendispensen – Die letzten Jahre der Luzerner Nuntiatur
2. Der institutionelle Rahmen der Luzerner Nuntiatur
2.1. Residenzort und Residenzgebäude
2.2. Nuntiatursprengel
Der Sprengel der Luzerner Nuntiatur nach dem Zusammenbruch der Alten Eidgenossenschaft – Streitfragen um die Ausdehnung des Nuntiatursprengels
2.3. Fakultäten
Fakultätenvergaben als Spannungsfaktoren
2.4. Finanzen
Die Situation nach 1648 – Quellenarmut auch bei genau untersuchten Luzerner Nuntien – Die Taxenliste von 1694 – Die finanzielle Situation der Luzerner Nuntiatur im 19. Jahrhundert – Fakultätenstreit aus finanziellen und weniger aus ekklesiologischen Gründen – Die Klagen Giuseppe Garampis – Exkurs: Schenkungen von Nuntien in Luzern als Hinweis auf ihre finanzielle Leistungsfähigkeit
2.5. Die Mitarbeiter der Nuntiatur
2.5.1. Leitung
Die Internuntien
2.5.2. Gericht
Der Auditor – Notar und Prokuratoren – Exkurs: Das Judizialprotokoll von 1765
2.5.3. Kanzlei
Der Kanzler
2.5.4. Haushalt
2.5.5. Externe Mitarbeiter:
Römische Agenten – Hoftheologen – Informanten – Kommissäre und Delegaten
2.5.6. Auswahl und Bezahlung der Mitarbeiter
Die Löhne der Nuntiaturangestellten und die Taxansätze der Nuntiatur
2.5.7. Exemtion der «famigliari» und dabei auftauchende Schwierigkeiten
2.6. Zeremoniell
Die Bedeutung des Zeremoniells im Ancien Régime – Das Zeremoniell der Luzerner Nuntiatur – Das Zeremoniell im Umgang mit Kantonalbehörden, ausländischen Gesandten und Bischöfen – Ausnahmefälle – Diplomatisches Zeremoniell in der Korrespondenz – Der Zeremonialstreit von 1758/59 – Die Folgen des Zeremonialstreits – Das Verhältnis zum spanischen Gesandten in Luzern
3. Die Nuntien der Luzerner Nuntiatur
Präliminarien zu Abstammung, geographischer Herkunft und Klientelismus der Kirchenstaats-Führungsschicht – Verwandtschaft und Klientelismus
3.1. Die geographische und ständische Herkunft der Luzerner Nuntien
Die Luzerner Nuntien 1586–1654 – Die Luzerner Nuntien 1654–1798 – Die Luzerner Nuntien 1803–1848
3.2. Ausbildung
Allgemeine Bemerkungen zur Ausbildung der kurialen Eliten – Die Ausbildung der Luzerner Nuntien – Das Referendariat beider Signaturen
3.3. Karriereverlauf
Die Luzerner Nuntiatur als Erfolgsleiter zum Kardinalat – Die Karriere der Auditoren
3.4. Anmerkungen zum Denken und zur Arbeitsweise der Luzerner Nuntien
Die Qual, in der Fremde leben zu müssen – Ein anderes kulturelles Umfeld – Geistige Regsamkeit – Echte Gläubigkeit der Nuntien – Psychologische Mechanismen: die Loyalitätsfrage – Der Handlungsspielraum der Luzerner Nuntien – Die Einschätzung der Nuntien durch die Schweizer – Das Bild der Nuntien über die Schweizer – Wie die Nuntien die Luzerner einschätzten – Bemerkungen zum politischen System
4. Die Luzerner Nuntiatur und ihre Konfliktfelder im 18. Jahrhundert – Ausgewählte Beispiele
4.1. Wendejahr 1712
Luzern will einen Agenten – Der Nuntius als Kriegstreiber?
4.2. Die Bistümer im Nuntiaturdistrikt und ihr Verhältnis zur Nuntiatur
4.2.1. Das Bistum Chur
4.2.2. Das Bistum Basel
4.2.3. Das Bistum Lausanne
4.2.4. Das Bistum Sitten
Die Abtrennung der Walliser Kapuzinerklöster von der savoyischen Provinz
4.2.5. Das Bistum Konstanz
Auseinandersetzungen zwischen den Konstanzer Bischöfen und den Nuntien um die geistliche Gerichtsbarkeit – Verändertes bischöfliches Amtsverständnis und politisches Kalkül
4.2.6. Das Bistum Como
4.3. Kampf um die Kirchen- und Klosterfreiheit
4.3.1. Der Streit um das Zisterzienserkloster Salem
4.3.2. Staatskirchliche Tendenzen im Kanton Freiburg
Die Konfirmation der Abtwahl in Hauterive von 1761 – Unordnung im Freiburger Stift St. Nikolaus – Rom billigt kanonisch verbotene Vermögensumschichtungen
4.3.3. «Glaubenssorge» des Kantons Solothurn
4.3.4. Umstrittene Steuer- und Gerichtsexemtion
Kommissarrichter in Vorderösterreich – Zivilehe und Zivilbegräbnis, Klerussteuer und «Placet regium»
4.3.5. Kirchenasyl: Status quo statt Erneuerung
Die Kirchenimmunität im Kirchenstaat – ein Vergleich
4.4. Druck, Buchzensur und «Geheimgesellschaften»
4.4.1. Die Nuntiatur und die Druckerei Agnelli in Lugano
Korrespondenz unter «Feinden» – Briefwechsel zwischen Freunden: Die wahren Absichten der päpstlichen Diplomaten
4.4.2. Ein «erfolgreicher» Zensurfall
4.4.3. Bücherstreit in Luzern
Bedingungsloser Kampf gegen Balthasars Schrift «De Helvetiorum juribus circa sacra» – Unterschiedliche Einschätzung der «Reflexionen» – Die Bedeutung des Bücherstreites von 1768/69
4.4.4. Schreckgespenst Helvetische Gesellschaft
4.4.5. Weitere Bemühungen der Luzerner Nuntiatur im Bereich des Druckwesens
4.5. Die Haltung der Nuntien zu politischen Fragen
Die Schweiz und das übermächtige Frankreich – Kämpfe um die Genfer Verfassung – Die französische Dienstordnung von 1763 – Die Luzerner Nuntiatur und der Kanton Schwyz im Jahre 1765 – Gärung in Zug – Streit zwischen Schwyz und Einsiedeln – Zu den Beziehungen zwischen katholischen und reformierten Kantonen
4.6. «Spezialfälle» Tessin und Veltlin
Rechtsstreitigkeiten in den ennetbirgischen Vogteien – Der Nachweis des ledigen Standes
Veltlin – Die Haltung der Luzerner Nuntiatur zum Mailänder Kapitulat von 1762 – Das Bündnis mit Venedig – «Propst Guicciardi und seine Banditen» – Der Castelli-Prozess – Die Kapuziner in Graubünden und im Veltlin
4.7. Zur Jesuitenfrage in der Schweiz der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
5. Zusammenfassende Überlegungen
Nuntiatur einst und jetzt
Nachwort des Apostolischen Nuntius in der Schweiz, Erzbischof Dr. Karl-Josef Rauber
Anhang:
Das Archiv der Luzerner Nuntiatur und die Archive römischer Verwaltungsstellen
1. Geschichte des Luzerner Nuntiaturarchivs
Die Gründung des Luzerner Nuntiaturarchivs 1660 – Standortwechsel als grösste Gefahr für das Luzerner Nuntiaturarchiv - Ein Pfalzgrafentitel für die Neuordnung des Nuntiaturarchivs – Das Schicksal des Luzerner Nuntiaturarchivs nach der Aufhebung der Nuntiatur 1873/74 – Die heutige Ordnung des Luzerner Nuntiaturarchivs – Die Bedeutung des Luzerner Nuntiaturarchivs für die Verwaltung der Nuntiatur
2. Die «Nuntiatura Svizzera» im Archiv des Staatssekretariats
Die heutige Grobordnung der «Nuntiatura Svizzera» – Der «Parte moderna»: Die Einteilung nach Rubrikennummern
3. Bedeutende Akten- und Quellengattungen der Archive der Luzerner Nuntiatur und des Vatikans
3.1. Korrespondenz zwischen Nuntius und römischen Institutionen (Diplomatische Korrespondenz)
Weisungen des Staatssekretariates an den Nuntius - Nuntiaturberichte – Korrespondenz mit römischen Institutionen
3.2. Korrespondenz innerhalb des Nuntiatursprengels
3.3. Informativprozesse
3.4. Gratialexpeditionen
3.5. Ordinationsregister
3.6. Unterlagen zu den Nuntiaturfinanzen
3.7. Gerichtsakten
3.8. Sammlungen
Urkunden und Dekrete – Memorialakten
3.9. Weitere Akten
3.10. Quellenkritische Anmerkungen
Verwaltungsschriftgut – Schriftlichkeit und Mündlichkeit – Anmerkungen zur Diplomatensprache: Ausgesprochenes und Unausgesprochenes – Das Funktionieren eines klerikalen Systems – Methodische Anmerkungen zur Nuntiaturforschung