Als historische Epoche beginnt das 19. Jahrhundert im Kanton Luzern wie in weiten Teilen der heutigen Schweiz 1798 mit dem Paukenschlag der helvetischen Revolution. Zwar scheint die kurze Zeit der Helvetik bei oberflächlicher Betrachtung vor allem durch das Scheitern der zentralistischen Staatsidee gekennzeichnet - doch die Spuren, die sie zurückliess, blieben unverwischbar. Auch in einem Kanton wie Luzern, in dem viele herkömmliche Strukturen die Revolution überdauerten, war nach 1798 nichts mehr so, wie es vorher gewesen war. Die Helvetik löste in Gesellschaft und Staat Veränderungen aus, die sich als irreversibel erwiesen. Im politischen Bereich war es namentlich die Emanzipation der Landschaft gegenüber der Hauptstadt, die unter den nachfolgenden Regierung zwar eingeschränkt, nicht aber rückgängig gemacht werden konnte.
Der vorliegende Band beleuchtet die Geschicke des Kantons Luzerns in den Jahrzehnten, die durch den Widerstreit von Neuem und Altem geprägt waren. Er schildert die Irrungen und Wirrungen der Helvetik und das Lavieren zwischen und retrospektiven Elementen während der Mediations- und Restaurationszeit. Die Darstellung der politischen Geschichte endet mit dem endgültigen Abschied von den Relikten des Ancien régime in der Regeneration von 1831. Als Faktor des öffentlichen Lebens wird auch der kirchlich-religiöse Bereich ausführlich behandelt: die Auseinandersetzung um das Konkordat von 1806, die Gründung des Bistums Basel, aber auch die Frömmigkeitsbewegung, die in der charismatischen Persönlichkeit des Niklaus Wolf von Rippertschwand ihre Leitfigur fand.
Den Kontrapunkt zum Politischen bildet die Bevölkerungs- und Wirtschaftsgeschichte. Sie wird in ihren wesentlichen Zügen bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts verfolgt. Im Zentrum stehen die ökonomischen und sozialen Prozesse, die die Revolution mit der Befreiung des Bodens, der Aufhebung der Zunftordnung und der rechtlichen Gleichstellung von Stadt- und Landbewohnern ausgelöst hat. Erfasst werden in diesem Zusammenhang auch Themen wie die Zunahme der unehelichen Geburten, die Allgegenwart der Armut, das Problem der Heimatlosen und die Bildungs- und Berufsmöglichkeiten der Frauen.
Dieses Buch, die erste aus den Quellen erarbeitete Gesamtdarstellung der Epoche seit Kasimir Pfyffers Kantonsgeschichte von 1852, ist eine Fundgrube für alle, die wissen wollen, wie der Kanton Luzern - der Staat, aber auch die einzelnen Menschen - den Weg in eine Moderne fand, die in vielem noch immer die Basis unserer eigenen Gegenwart bildet.
Aus dem Inhaltsverzeichnis:
1. Luzern im späten 18. Jahrhundert
1.1. Der Staat
1.2. Die Kirche
1.3. Bevölkerung
Frauen – Stadt und Land
1.4. Wirtschaft
1.5. Destabilisierende Faktoren
2. Helvetik
2.1. Vom Untergang des alten Staats Luzern zur Helvetik
2.2. Luzern im helvetischen Staat
2.2.1. Wahlen, Verfassung, Organisation
2.2.2. Politische Wirren: Rückwirkungen auf den Kanton Luzern
2.3. Besetzung und Krieg
2.4. Aspekte der helvetischen Gesetzgebung
2.4.1. Gewerbefreiheit, Niederlassungsfreiheit, Bürgerrecht
2.4.2. Grundlasten und Steuern
2.4.3. Allmendteilungen und Weiderechte
2.4.4. Die Schule
2.5. Aktionen, Reaktionen, Widerstand: Das politische Verhalten der Bevölkerung
2.5.1. Wendezeit. Die Anfänge der Helvetik
Die Übergangszeit – Die Stimmung zu Beginn der Helvetik
2.5.2. Bürgereid und Röthlerkrieg
2.5.3. Ruswiler Krieg
2.5.4. Zwischen Anpassung und passivem Widerstand
Reaktionen auf die Verfassungskämpfe
2.6. Die Rolle der Geistlichkeit
2.7. Das Ende der Helvetik
2.7.1. Die föderalistische Erhebung von 1802
2.7.2. Die Consulta in Paris
2.7.3. Die finanzielle Liquidation der Helvetik
3. Auf der Suche nach einem neuen Gleichgewicht: Mediation und Restauration
3.1. Das Erbe der Helvetik
3.2. Der Staat Luzern
3.2.1. Organisation
3.2.2. Staat und Bürger
3.2.3. Stadt und Landschaft
Das «Bauernregiment» – Restauration
3.2.4. Regierung und Großer Rat
3.2.5. Widerstand?
Der Putsch von 1814 – Der Petitionenhandel – Religiös motivierte Unruhen
3.3. Politik im Spannungsfeld von Innovation und Reaktion
3.3.1. Zwischen Aufbruch und Stagnation
3.3.2. Im Zeichen der Bürokratisierung
3.3.3. Richtungskämpfe innerhalb des Restaurationsregimes: Der Streit um die Schule
3.3.4. Auf dem Weg zur Reform: Die Verfassungsrevision von 1829
3.4. Kirchenpolitik
3.4.1. Die Übereinkunft in geistlichen Dingen
3.4.2. Die Klöster – St. Urbaner Rechnungsaffäre
3.4.3. Das Konkordat in der Praxis
3.4.4. Die Bistumsfrage
Die Trennung vom Bistum Konstanz – Projekte und Verhandlungen
3.4.5. Konflikte mit dem Klerus
3.4.6. Die Frommen im Lande
4. Bevölkerung und Wirtschaft in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
4.1. Die Bevölkerungsentwicklung
4.1.1. Die demographischen Daten
4.1.2. Ehehindernisse und Illegitimität
4.2. Die Wirtschaft zwischen Tradition und Modernisierung
4.2.1. Landwirtschaft
4.2.2. Industrie und Gewerbe
4.2.3. Handel und Verkehr
4.2.4. Krisen
Das Hungerjahr 1817 – Die Krise der 1840er Jahre
4.3. Facetten der gesellschaftlichen Wirklichkeit
4.3.1. Armut
4.3.2. Heimatlosigkeit
4.3.3. «Bildungsbürger»: Berufe mit akademischer Ausbildung
4.3.4. Frauenberufe im Schatten der Akademisierung: Hebammen und Lehrerinnen
4.3.5. «Lustbarkeiten», Theater, Musik
5. Der Aufbruch von 1830/31
5.1. Die Politisierung der Öffentlichkeit
5.2. Die Verfassungsrevision
5.2.1. Die Revisionsbewegung 3
Der Verfassungsrat – Die Volksabstimmung
5.2.2. Der Kanton unter der neuen Verfassung
5.3. Kontinuitäten und Brüche