Dominik Sieber

Jesuitische Missionierung, priesterliche Liebe und sakramentale Magie.

Volkskulturen in Luzern 1563-1614

Luzerner Historische Veröffentlichungen Band 40

2005. 332 Seiten mit 17 teils farbigen Abbildungen. Gebunden.

Fr. 48.– / € 33.50,

ISBN 3-7965-2087-5

Jesuitische Missionierung, priesterliche Liebe und sakramentale Magie.

Die Regelung von Glauben und Frömmigkeit, welche das Konzil von Trient (1545-1563) der katholischen Welt verordnete, schrieb sich auch Luzern auf die Fahnen. Wie aber hat die eigene Bevölkerung auf die Neuerungen von Kirche und Obrigkeit reagiert? Am Beispiel der ersten Luzener Jesuiten, dem Verbot von Priesterkonkubinen und der Kriminalisierung von Gesundbeterinnen und Geisterbeschwörern untersucht das Buch die Breitenwirkung der neuen Konfessionskultur in Luzern.
Ab 1574 wurden die Jesuiten in Luzern als Lehrer, Seelsorger sowie als Volksmissionare aktiv. Dabei kam ihnen eine besondere Aufmerksamkeit für das Fremde entgegen, die Ignatius von Loyola mit dem Sprichwort "durch ihre Tür eintreten, um bei unserer Tür herauszukommen" umschrieben hatte. Gemeint war damit die Anpassung jesuitischer Seelsorge an die jeweilige Kultur, die es zu missionieren galt. In Luzern war man mit einem starken Klerikerkonkubinat konfrontiert, dessen Wahrnehmung sozial differierte: Was der Obrigkeit die generelle Angst vor priesterlicher Sexualität war, war der Bevölkerung die Sorge um das eigene Seelenheil. Die Geistlichen wiederum erklärten ihre Liebesbeziehungen als wirtschaftlich überlebensnotwendig.
Während die Jesuiten in Fragen des Zölibats zu keiner Anpassung bereit waren, sah dies bei den popularen Heilungsbedürfnissen anders aus. Hier versuchten die Jesuiten mit Sakramenten, insbesondere der Beichte, eine Alternative zu Luzerner “Versegnerinnen” und Geisterbeschwörern anzubieten: Dort, wo die weltliche Medizin versagte, sollte die jesuitische Beichte weiterhelfen. Zudem machten die Jesuiten die Beichte mit geweihten Gegenständen wie Medaillons und Palmzweigen populär.
Solche Objekte und ähnlich fromme Worte verwendete freilich auch die Konkurrenz, die Luzerner Heilerinnen und Heiler. Die Kirche versuchte mit Bestimmungen über "Sakramente" und "Sakramentalien" klare dogmatische Grenzen zu ziehen, doch weisen die Praktiken im nachtridentinischen Luzern auf ein untrennbares Gemenge von kirchlichen Dogmen und Laienvorstellungen hin. Erst Kirchengelehrte und Richter haben somit in Luzern getrennt, was auf einer popularen Ebene ein einheitliches Handeln darstellte: Vor Gericht wurden Heilmethoden zu kirchlichem Glanz erhöht oder zu schwarzer Magie verteufelt.
Die Geschichten um Luzerner Jesuiten, Konkubinarier und Heilerinnen zeigen, dass es falsch wäre, die Verbreitung einer nachtridentinischen Konfessionskultur als einseitige Durchsetzungspolitik von oben zu sehen. Die Jesuiten waren in Luzern Vermittler zwischen den Kulturen. Sie standen auf der Seite der Kirchenreformen, berücksichtigten aber auch populare Bedürfnisse nach Heilung und Prosperität. So gesehen ist die Luzerner Gegenreformation eine Geschichte vielfältiger Austauschprozesse, an denen Männer und Frauen ausserhalb der Kirche intensiv beteiligt waren. Vielfach contre-coeur, nämlich vor Gericht, aber mit der Möglichkeit, das Definitionsmonopol der Kirche zu unterlaufen, um eigene religiöse Praktiken zu postulieren. Dies relativiert unsere Vorstellung von uniformen gegenreformatorischen Weltbildern in Luzern und schärft den Blick für Handlungsspielräume im konfessionellen Zeitalter.
 

Aus dem Inhaltsverzeichnis:

Vorwort

Einleitung

1. Das nachtridentinische Luzern: Alte Ansichten und neue Zugänge
1.1 Das Bild einer Epoche
1.2 Gegenreformation oder katholische Konfessionalisierung in Luzern?
1.3 Die jesuitische Akkommodation an einheimische Indianer
1.4 Katholische Konfessionskultur in Luzern als Interaktion von «Eliten-» und «Volkskultur»

2. Eine Kriegerstadt frommer Frauen: Politische, wirtschaftliche und kirchliche Strukturen Luzerns im 16. Jahrhundert
2.1 Soldgelder und patrizische Verbindlichkeiten: Politik im Luzern der Gegenreformation
2.2 Herrschen über das Beten: Kirchenpolitik im Luzern der Gegenreformation

3. Kirchliche Reformkräfte in Luzern: Die Aufgaben der Jesuiten
3.1 Die Gründung einer katholischen Schule in der Eidgenossenschaft
3.2 Jesuitische Lehrer in Luzern: Schwieriger Beginn und pädagogische Ziele
3.3 Die seelsorgerische Mission der Luzerner Jesuiten: Akkommodationen und Klagen

4. Asketische Ansprüche und «tütsche Sitten»: Der Disput um neue Priester in Luzern
4.1 Die Konstanzer Diözesansynode von 1567 und die neuen Kontrollinstanzen des schweizerischen Klerus
4.2 Priesterliche Delinquenz im Luzerner Dekanat Willisau
4.2.1 Frauenbeziehungen und Alkohol als Delikte der Willisauer Geistlichkeit
4.2.2 Der Umgang mit Sakramenten als Prüfstein priesterlicher Qualität
4.3 Kanzel, Kühe und Küche: Zur Rechtfertigung des Priesterkonkubinats
4.4 Zusammenfassung

5. Beichtworte und Bilder aus Wachs: Zum jesuitischen und kapuzinischen Heilen im nachtridentinischen Luzern
5.1 Die Neuordnung der Kirchensakramente auf dem Trienter Konzil
5.2 Die Einstellung der Jesuiten zur Beichte und zur Kommunion
5.3 Sakramente in politischer Absicht: Die Erwartungen der Luzerner Obrigkeit
5.4 Sakramentspraxis in Luzern: Zu den Aufzeichnungen der Jesuiten
5.5 Jesuitische Beichtgespräche als Heilmittel
5.5.1 Beichterfolge bei physischem Leid
5.5.2 Beichterfolge bei dämonischen Erscheinungen
5.5.3 Beichterfolge bei zerstrittenen Personen, Verurteilten und in Religionsdisputen
5.6 Reden und Sakramentalien als Erfolgsgeheimnis der Luzerner Jesuiten und Kapuziner

6. Versegnende Worte und wundersame Objekte: Zum popularen Heilen im nachtridentinischen Luzern
6.1 Die Schule der Küssnachter Seelenmutter
6.1.1Wie man als Gesundbeterin überlebte
6.1.2Wie das Geisterbeschwören zum Tode führte
6.2 Heilende Worte: Das «Versegnen»
6.3 Medizinische Künste: Das «Arznen» von Körper und Seele
6.4 Magie um mehr: Geld und Liebe
6.5 Heilkünste im nachtridentinischen Luzern: «Kirchliche Magie», «Volksmagie» oder popularer Sakramentalismus?

7. Schlussbetrachtung: Luzerner Gegenreformation als Parallelaktion von Kirche und Staat? Dominanzansprüche und gegenläufige Wirkungen


Anhang

Quellenauszüge

Tabelle: Delinquente Priester des Dekanats Willisau in den Jahren 1564–1614