In den Jahrzehnten vor und nach der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Weichen dafür gestellt, dass sich die Schweiz zu dem entwickelte, was sie heute ist. Während der Siegeszug der Fabrikindustrie und der Eisenbahn das soziale und wirtschaftliche Gefüge auf ein neues Fundament stellte, wurden auf dem politischen Feld die Grundlagen
des bundesstaatlichen Systems festgeschrieben.
Der hier vorliegende zweite Teil der Luzerner Kantonsgeschichte des 19. Jahrhunderts beleuchtet diese Periode aus der kantonalen Perspektive. Luzern, dem katholischen Vorort, kam in den politischen Auseinandersetzungen, die zur Gründung des Bundesstaates führten, eine Schlüsselrolle zu. Der Gegensatz zwischen Altgesinnten und Neuerern, zwischen Konservativen und Liberalen, zwischen traditioneller Religiosität und säkularistischem Zeitgeist verdichtete sich hier im Streit um die Jesuitenberufung und nahm mit den Freischarenzügen bürgerkriegsartige Dimensionen an.
Von Luzern ging zudem die Initiative zur Gründung des Sonderbunds aus. Die gewaltsame Auflösung dieses katholisch-konservativen Schutzbündnisses im Sonderbundskrieg bedeutete für die Eidgenossenschaft eine kurze Krise, die den Weg zum Bundesstaat eröffnete. In Luzern wirkte die militärische Niederlage mit ihren materiellen und politischen Auswirkungen dagegen als Trauma, das die mentale Befindlichkeit des Kantons nachhaltig prägte.
In unmittelbarer Anlehnung an das überreich vorhandene Quellenmaterial gibt die Untersuchung Einblick in die dramatischen Vorgänge im Kanton Luzern.
Der erste Teilband beschäftigt sich mit den 1830er und 1840er Jahren; er schildert die administrativen Errungenschaften und die politischen Ungeschicklichkeiten des liberalen Regimes der 1830er Jahre, den konservativen Umschwung von 1840/41, die Sonderbundszeit und die unmittelbaren Auswirkungen des Krieges.
Der zweite Teilband thematisiert die liberale Nachkriegsperiode und den endgültigen Durchbruch der Konservativen im Zeichen des Kulturkampfs und der Bundesrevision von 1872/74. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen politischen und konfessionell-religiösen Faktoren und die Ausformung des für Luzern charakteristischen Zweiparteiensystems. Zur Sprache kommen aber auch die wesentlichen Faktoren der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung wie der rasche Aufbau des Eisenbahnnetzes, die Modernisierung der Landwirtschaft und die Umgestaltung der Stadt Luzern zu einem Zentrum der Fremdenindustrie.
Aus dem Inhaltsverzeichnis:
TEILBAND 1
Vorwort
Einleitung
1. Die 1830er Jahre oder: Die Scheidung der Geister
1.1 Wahlen, Wähler, Gewählte 1831–1841
1.1.1 Politische Lager, Parteien, Vereine 19
1.1.2 Die Großratswahlen 1831–1839 23
1.1.3 Wähler und Parteien 32
1.1.4 Der Große Rat als Wahlgremium 39
1.2 Bundespolitische Themen
1.2.1 Die Idee einer Bundesrevision 44
1.2.2 Das Siebnerkonkordat 46
1.2.3 Die Bundesurkunde von 1833 51
1.2.4 Der Küssnachter Zug 61
1.2.5 Konflikte um die Flüchtlingspolitik 66
1.2.6 Die Intervention im Kanton Schwyz 1838 74
1.3 Kirchenpolitische Konflikte
1.3.1 Erste Querelen 82
1.3.2 Der Streit um das Willisauer Schulinstitut 1833 85
1.3.3 Die Eskalation 1833/34: Christophor Fuchs – Pfarrer Huber – Die Badener Artikel 91
1.3.4 Der Kampf um die Durchsetzung der Badener Artikel 1835/36 106
1.3.5 Die Klöster als Thema der Kirchenpolitik 119
1.3.6 Kirchenpolitik im Streit der Parteien 127
1.4 Leistungen und Defizite
1.4.1 Die gesetzgeberische Offensive 140
Ausgestaltung der Verfassung: Bürgerrecht, Presse- und Meinungsfreiheit, organische Gesetze – Effizienz versus Demokratie: Gemeindeammänner, Appellationsrichter, Notare – Bau- und Forstpolizei – Das Bürgerliche Gesetzbuch – Das Strafrecht
1.4.2 Kantonale Anstalten, Projekte und Bauten 155
Das Gefängniswesen – Der Bau des Großratssaals – Projekte für soziale Institutionen – Die Taubstummenanstalt
1.4.3 Das Erziehungswesen in Theorie und Praxis 168
1.4.4 Die liberale Wirtschaftspolitik 186
1.4.5 Versuch einer Bilanz 198
1.5 Die Revision der Kantonsverfassung 1841
1.5.1 Die ersten Pressedebatten 1839 203
Der Lueg ins Land – Der Zürichputsch
1.5.2 Die konservative Offensive 214
1.5.3 Die Revision 1841 231
2. Das konservative Luzern und der Sonderbund 247
2.1 Katholisch und volkstümlich – Die neue Ausrichtung der Luzerner Politik
2.1.1 Die Wahlen von 1841 247
2.1.2 Weichenstellungen in der Kirchen- und der Bundespolitik 251
2.1.3 Einfachheit und Volkstümlichkeit 257
2.1.4 Das Schulwesen 260
2.1.5 Die Pressegesetze von 1842 und 1843 264
2.2 Die großen Themen
2.2.1 Die Jesuitenfrage 268
2.2.2 Die Aargauer Klosterfrage und die Wurzeln des Sonderbunds 278
2.2.3 Die Entscheidung für die Jesuiten 285
2.3 Die Zeit der Eskalation
2.3.1 Die Polarisierung der Standpunkte 301
2.3.2 Der erste Freischarenzug 309
2.3.3 Belagerungszustand 316
2.3.4 Der zweite Freischarenzug 323
2.3.5 Die Pfefferfrauen 336
2.3.6 Der Sonderbund 344
2.3.7 Der Kanton Luzern in der Krise 355
2.3.8 Der Weg in den Krieg 362
2.4 Das Ende des Sonderbunds
2.4.1 Der Krieg 375
2.4.2 Luzern unter eidgenössischer Besetzung 382
2.4.3 Die provisorische Regierung 388
3. Nach dem Krieg – Die Anfänge der liberalen Ära
3.1 1848: Die Selbstbehauptung des liberalen Regimes
3.1.1 Die Verfassungsrevision 399
3.1.2 Der Kampf um St. Urban und Rathausen 409
3.1.3 Der Kampf um die Bundesverfassung 418
3.1.4 Revisionsbewegung und Nationalratswahlen 423
3.2 Altlasten
3.2.1 Die Kriegsschulden 432
3.2.2 Die Liquidation der Klöster 436
3.2.3 Das Verfahren gegen die Verantwortlichen des Sonderbunds 441
3.2.4 Der Landesverratsprozeß 448
3.2.5 Kirchenpolitische Maßnahmen 452
Das Verfahren gegen kompromittierte Pfarrer – Die Missionsvereine – Das Institut Baldegg
3.2.6 Die Neuorientierung in Gesetzgebung und Verwaltung 460
Das Erziehungsgesetz – Das Pressegesetz – Verwalten und kontrollieren
TEILBAND 2
4. Im Zeichen des liberal-konservativen Gegensatzes – Die 1850er und 1860er Jahre
4.1 Die konservative Opposition
4.1.1 1849/50 – Überlebensstrategien zwischen Widerstand und Resignation 478
4.1.2 Die Wahlen von 1851 486
4.1.3 Das Jahr 1854 493
4.1.4 Stabilität oder Stagnation – Die Wahlen von 1857 und 1860 505
4.1.5 Richtungskämpfe 510
4.1.6 Die Verfassungsrevision von 1862/63 517
4.2 Neue Themen, neue Konflikte: Das Übergewicht der materiellen Fragen
4.2.1 Krise und Konjunktur 530
Die Not der frühen 1850er Jahre – Die Bevölkerungsentwicklung
4.2.2 Wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen 548
Konsumentenschutz: Der Brotpreis – Wirtschaftsförderung: Sparkasse, Einzinserkasse, Zehntgesetz – Vom Verwalten des Elends: Armengesetz und Paternitätswesen
4.2.3 Neue Verkehrsmittel – Dampfschiff und Eisenbahn 563
Dampfschiffe auf dem Vierwaldstättersee – Die Eisenbahnverbindung nach Basel – Die Linie Luzern–Zürich – Die Gotthardbahn – Durchs Entlebuch nach Bern – Die Vitznau-Rigi-Bahn
4.2.4 Aspekte der Modernisierung 583
Stadtentwicklung im Zeichen des Fremdenverkehrs – Veränderungen auf der Landschaft
4.2.5 Staatsfinanzen und Steuergesetz 600
4.3 Alte Themen, neue Konflikte
4.3.1 Die Bundesrevision von 1865/66 und die Emanzipation der Juden 614
4.3.2 Kirchenpolitische Themen 621
4.3.3 Die Großratswahlen von 1867 638
4.3.4 Die Verfassungsrevision von 1868/69 648
4.3.5 Sachpolitik in Zeiten des Parteikampfs 662
Das Volksschulwesen – Die Wahl der Pfarrer – Die Reform des Vormundschaftswesens – Die «Irrenanstalt» St. Urban – Die Internierung der Bourbaki-Armee
4.4 Das Ende der liberalen Ära
4.4.1 Die Nationalratswahlen 1869 679
4.4.2 Vorboten des Kulturkampfs 686
4.4.3 Wahlkampf im Zeichen der Kirchenpolitik 706
5. Ein konservativer Kanton in einem freisinnigen Umfeld
5.1 Die Anfänge der konservativen Regierung
5.1.1 Gemäßigt-konservativ, ultramontan, reaktionär? Konservative Politik zwischen Grundsatztreue und Pragmatismus 722
5.1.2 Die Presselandschaft 737
5.2 Bundesrevision und Kulturkampf
5.2.1 Die Opposition gegen die päpstliche Unfehlbarkeit 744
5.2.2 Die Bundesrevision 1871/72 756
5.2.3 Der Kulturkampf und die Bundesrevision 1873/74 765
5.3 Das konservative Luzern unter der Bundesverfassung von 1874
5.3.1 Die Kantonsverfassung von 1875 789
5.3.2 Kantonale Wahlen und eidgenössische Referenden 798
Zum Schluß 815
Tabellen 32–52
Quellen und Literatur