Auf dem Weg zur Mündigkeit
In der Frühzeit des Films, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, wurde das neue Unterhaltungsmedium als «Schmutz und Schund» geschmäht. Diese Studie geht der Entstehung erster Vorschriften für Kinobetriebe in den Kantonen Luzern, Zürich und der Waadt nach, als Zensurparagrafen Filmvorführungen für Erwachsene einschränkten und in der Folge Filme von Kontrolleuren wegen «Verletzung des sittlichen Empfindens» verboten oder beschnitten wurden.
Ergründet werden hier bürgerliche und religiöse Moralvorstellungen, womit Zensoren dauerhafte Dämme gegen Verrohung und Sittenzerfall errichten wollten. Zensurkommissionen gingen damit weit über jene Publikationsbeschränkungen hinaus, welche der Generalstab während des Zweiten Weltkrieges Presse, Radio und Film aus politischen Gründen auferlegte.
Quervergleiche zwischen einzelnen Kantonen legen einerseits verschiedene Zensurmotive offen, anderseits dokumentieren Längsschnitte durch unterschiedliche Zensurregime den Wertewandel bis in die neuste Zeit, als mündige Bürgerinnen und Bürger in Volksabstimmungen die Zensur in den Kantonen Zürich und Luzern 1971 aufhoben und auch Filmvorführungen dem Strafrecht unterstellten.
Aus dem Inhaltsverzeichnis:
Vorwort
1. Einleitung
1.1 Zum Thema
1.2 Anfänge des Films und der Filmzensur
1.3 Föderalismus und Zensur
1.4 Zensurdiskurse
1.5 Fragestellung und Forschungsansatz
1.6 Forschungsstand
1.7 Quellen und Archive
1.8 Aufbau und Methode
2. Bürger setzen Werte
2.1 Bürgerlichkeit und Katholizismus
2.1.1 Das bürgerliche Wertegebäude
2.1.2 Die Moral in der katholischen Subgesellschaft
2.2 Lesesucht, Hygienediskurs
2.3 Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft, Sittlichkeitsvereine
2.4 Schmutz und Schund
2.5 Im Banne des Films
2.5.1 Kinos setzen sich durch
2.5.2 Kino in der katholischen Kirche
2.5.3 Der Film im Schmutz- und Schunddiskurs
Topos 1 – Der Film verdirbt die Jugend; Topos 2 – Der Film schädigt die Gesundheit; Topos 3 – Der Film unterhält die städtische unterschicht; Topos 4 – Der Film leitet zu Verbrechen an; Topos 5 – Der Film «entsittlicht» die Gesellschaft; Topos 6 – Der Film verschlingt Millionen; Topos 7 – Der Film ist subversiv
2.5.4 «Kinoreform»-Bewegung
2.5.5 Filmkritik der Katholischen Aktion in der Schweiz
2.5.6 Behördliche Massnahmen gegen den Film im Vorfeld des Zensurzeitalters
2.5.7 Filmbesprechungen
3. Sittlichkeit und Zensur
3.1 Recht, Sittlichkeit und Moral
3.2 Zensur
3.2.1 Zensurdefinitionen
3.2.2 Typen der Zensur
3.2.3 Wirkung der Zensur
3.3 Hollywoods Zensur
3.3.1 Hollywoods Zensursystem
3.3.2 Hollywoods Zensurrhetorik
3.3.3 Hollywoods moralische Werte
3.4 Zensurdiskurse
3.4.1 Zensur und Öffentlichkeit
3.4.2 Das Denkkollektiv-modell
3.5 Katholische Zensur
3.5.1 Vigilanti cura
3.5.2 Miranda prorsus
3.5.3 Der katholisch-konservative Zensor Korner
3.5.4 Der Filmberater
3.5.5 Der Filmberater als «heimlicher» Zensor?
4. Zensurregime
4.1 Föderalistische oder zentralistische Zensur?
4.1.1 im Dienst der Geistigen Landesverteidigung
4.1.2 Schweizerisches Strafgesetzbuch
4.2 Luzern: rechtliche Grundlagen
4.2.1 Städtische Verordnung
4.2.2 Kantonales Lichtspielgesetz 1917
4.2.3 Gesetzesrevision 1942
4.2.4 Kantonale Filmkontrollkommission
4.2.5 Zensurverfahren
4.3 Filmzensur in Zürich
4.3.1 Rechtliche Grundlagen
4.3.2 Zensurverfahren
4.4 Filmkontrolle in der Waadt
4.4.1 Rechtliche Grundlagen
4.4.2 Zensurverfahren
4.5 Kantone im Vergleich
4.5.1 Rechtsgrundlagen im Vergleich
4.5.2 Zensurmechanik
4.5.3 Zensurkommissionen
4.5.4 Zensurmotive
Verletzung des sittlichen Empfindens; Verrohende Wirkung; Verletzung des religiösen Empfindens; Verletzung des nationalen Empfindens
4.5.5 Kantonale Filmkontrolle in Zahlen
5. Fallbeispiele
5.1 Frauennot – Frauenglück (1929)
5.2 Die Dreigroschenoper (1931)
5.3 Ossessione (1943)
5.4 Duel in the sun (1946)
5.5 La ronde / Der Reigen (1950)
5.6 Du rififi chez les hommes (1955)
5.7 Nous irons à l’île du levant / lockender Süden (1956)
5.8 Divorzio all’italiana (1961)
5.9 Tystnaden / Das Schweigen (1963)
5.10 Das Wunder der Liebe (1967)
5.11 Flesh (1968)
6. Wider die Zensur
6.1 Moralvorstellungen nach dem Zweiten Weltkrieg
6.1.1 Katholische Sittlichkeit im Film
6.1.2 Mode und Nacktheit
6.1.3 Ehe- und Sexualmoral
6.2 «sexuelle Befreiung»
6.2.1 Sex- und Pornofilme
6.2.2 Die Sprache der Zensur
6.3 Gesellschaftliche Liberalisierung
6.3.1 Vom «liberalen Diskurs» zur «sexuellen Revolution»
6.3.2 Kirchliche Filmbewertung nach dem Konzil
6.3.3 Zerfall der «Legion of Decency»
6.3.4 Filmklub Luzern
6.4 Aufhebung der Filmzensur
6.4.1 neues Filmgesetz von 1971 in Zürich
Ausserparlamentarische Beratungskommission; Debatte im Kantonsrat; «Jugendgefährdende Schriften»; Volksabstimmung
6.4.2 neues Filmgesetz von 1971 in Luzern
Studienkommission; Stellungnahme des Filmklubs; Botschaft des Regierungsrates; Kommissionsberatungen; Debatte im Grossen Rat; Referendum; Abstimmung vom 28. November 1971
6.5 Gesellschaft ohne Zensur
7. Erkenntnisse und offene Fragen
7.1 Zensurtraditionen
7.1.1 Liberalismus und Zensur
7.1.2 Macht der «Sittlichkeit»
7.1.3 «Schmutz und Schund»
7.2 … so hat es doch Methode
7.3 Zensur beschränkt den Freien Markt
7.4 Film als Kulturträger
Tabellen 12–16
Quellen und Literatur