«Die Erde steht, die Sonne geht»

Patent Nr. 25409 Erdrelief, Ausschnitt Titel

Titelzeile zum Patent Nr. 25409

Seit Herbst 2000 besitzt das Staatsarchiv Luzern einen Bestand von 5161 Patentschriften aus den Jahren 1889 bis 1968 aus der Patentbibliothek Wil. Diese war eine Aussenstelle des Eidgenössischen Instituts für Geistiges Eigentum in Bern. Sie bewahrte Duplikate der Patentschriften auf und machte sie für die Öffentlichkeit zugänglich. Die Bibliothek wurde 1999 geschlossen. Auf eine Initiative des Staatsarchivs Thurgau hin wurden die Patente nach Wohnsitz des Erstanmelders auf die Kantone aufgeteilt und den Staatsarchiven zur Übernahme angeboten.
Seit 2012 ist der Luzerner Bestand PA 381 detailliert erschlossen. Alle diese Patente sind beim Einzelstück verlinkt mit der kostenlosen Patentrecherche des Europäischen Patentamtes Espacenet, wo auch die entsprechenden Scans der Patente online sind.

Das Patent «Erdrelief»

Patent Nr. 25409 Erdrelief, Abbildung

'Die beiliegende Zeichnung betrifft ein Ausführungsbeispiel des Erfindungsgegenstandes. Dabei hat man sich das Festland als in Relief hervortretend zu denken.'

Das am 24.9.1902 unter der Nummer 25409 und dem Titel «Erdrelief» an den Luzerner Melchior Dönni erteilte Patent umfasst gerade einmal 2 Seiten: Es patentiert ein Relief, bei dem die ganze Erdoberfläche eine flache Ebene bildet. Die Kontinente im Zentrum ragen aus einem grossen, kreisrunden Meer hervor.

Die kurze Beschreibung wird ergänzt durch eine einfache, schematische Zeichnung.

Der originale Patentantrag im Schweizerischen Bundesarchiv

Patent Nr. 25409 Erdrelief, Original im Schweiz. Bundesarchiv, in Signatur E4383#1995/477#352*

Das originale Gipsmodell des Erdreliefs, heute im Schweizerischen Bundesarchiv. Man beachte die im Zentrum im Nordpol steckende Schweizerfahne :-)

Bedeutend umfangreicher ist das vom Bundesamt für geistiges Eigentum an das Schweizerische Bundesarchiv abgelieferte Dossier zum Erdrelief. In Ergänzung zum knappen, auch in Luzern liegenden Blatt, umfasst es weitere Teile, die heute beim Bundesarchiv online konsultiert werden können:

  • das auf einer Holzplatte modellierte, farbige Relief aus Gips (auf der Rückseite datiert: August 1902)
  • die dazugehörige Schachtel (innen auf dem Boden mit einer farbigen gezeichneten Erdkarte, aussen mit der Postetikette und dem Poststempel vom 24.9.1902 versehen)
  • der handschriftliche, umfangreichere Patentantrag (undatiert, 2 Seiten, mit einer (gedruckten) Foto des Reliefs)
  • Offizielle Patenschrift Nr. 25409 vom 24.9.1902 (mit einem handschriftlichen Vermerk «gelöscht 24.9.03» , denn das Patent erlosch nach einem Jahr, da die jährliche Gebühr nicht bezahlt worden war)

Interessanterweise befinden sich im entsprechenden Dossier noch einige Druckschriften von Melchior Dönni, die teilweise erst nach der Erteilung des Patents erschienen. Sie sind in keiner schweizerischen Bibliothek vorhanden:

Der erste Schweizer Flacherdler

Azimutale äquidistante Projektion der Erdkugel

Azimutale äquidistante Projektionen der Erdkugel wurden auch in späteren Jahren als Bilder des flachen Erdmodells adaptiert, das die Antarktis als Eiswand um eine scheibenförmige Erde darstellt (aus https://de.wikipedia.org/wiki/Flache_Erde. Bild https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Flat_earth.png)

Die Patenschrift schlummerte unerkannt in den Archiven, bis sie am 16.1.2024 auf der Instagram-Seite des Bundesarchivs als Kuriosum publiziert wurde. Kurz darauf erschien in der NZZ am Sonntag (resp. am 22.1.2024 auf der Website der NZZ) unter dem Titel «Eine Scheibe mit dem Nordpol im Zentrum – wie sich der erste Schweizer Flacherdler die Welt vorstellte» ein Artikel von Urs Hafner über Melchior Dönni, sein Patent und seine Ideen.

Hafner beschreibt die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts aufkommende Idee, dass die Erde eine Scheibe sei. Die Vorstellung erhielt auch im 20. Jahrhundert Zulauf und ist noch heute beliebt, u.a. in Kreisen von Verschwörungstheoretikern. Dönnis Hintergrund liege aber bei den Wissenschaften, auch wenn er sich in der ersten seiner Schriften noch als «Ungelehrter» bezeichnet. Mit einigen Fakten versuche Dönni herzuleiten, dass die Sonne um die Erde kreise. Dönni wollte dieses System mit seiner einfachen, patentierten Relief-Darstellung verständlich machen.

Zu Dönnis Biographie fand Hafner nur wenig Spuren. Dies sei an dieser Stelle nachgeholt:

Der «Erfinder» Melchior Dönni

Melchior Dönni wurde am 13. Januar 1842 in Luzern an der Hofgasse geboren. Sein Vater war Melchior Töni (diese Schreibweise im Geburtsregister) von Wolfenschiessen, seine Mutter Josepha Wechsler.

Über seine Jugend wissen wir nichts. Laut Nekrolog im Luzerner Tagblatt soll er in den 1870-er Jahren von Obwalden nach Luzern gekommen sein und zuerst einen Milchhandel und eine kleine Sennerei betrieben haben (an der Adligenswilerstrasse, wo später das Hotel Montana errichtet wurde, das deshalb den Namen «Nidlepalast» erhielt). Dönni verlegte seinen Betrieb 1882 an die Stadthofstrasse 11. In der kantonalen Käserei-Statistik von 1889 ist seine «Zentrifugenmolkerei» der grösste Verarbeiter in der Stadt Luzern.

In den Zivilstandsregistern und im Luzerner Adressbuch finden wir Dönni mit der Berufsbezeichnung «Senn» an der Hofgasse (1876-1881), im Wey 30 (1883, 1886), an der Stadthofstrasse 11 (1890), dann am selben Ort als «Privat» (1901, 1907), schlussendlich an der Löwenstrasse 9 (1911).

Melchior Dönni-Schriber und seine Ehefrau (Foto: Privatbesitz)

1876 heiratete er (nun als Melchior Töny im Eheregister eingetragen) Katharina Korner von Willisau-Land. Katharina starb (nun unter dem Namen Denny eingetragen) kurz nach der Geburt des ersten Kindes 1877 an Kindbettfieber.
Dönni heiratete darauf 1880 die 18-jährige Maria Jakobea Schriber aus Schachen. Sie hatten bis 1898 noch 7 Kinder (vgl. Stammbuch StANW A 1197-2/10). Maria überlebte ihn noch viele Jahre und starb erst 1933 in Luzern.

Die Familie wohnte nur 5 Minuten vom Luzerner Gletschergarten entfernt. So erschliesst sich auch Dönnis Beobachtung, dass die «Gletscher beständig schwinden», denn er stützte sich auf seine Beobachtungen im Gletschergarten, der mit seinen Gletschertöpfen zu den Luzerner Touristenattraktionen gehört.

Dönni starb am 18. Juli 1916 (nicht 1906, wie bei Hafner angegeben) in seiner Wohnung an der Löwenstrasse 9 in Luzern. Er erlebte also das Jahr 1911, als Roald Amundsen den Südpol erreichte, und damit Dönnis Idee des unerforschten, unüberwindlichen, die waagrechte Ebene des Weltmeers umschliessenden Südpols auch widerlegte.

Melchior Dönni-Schriber und Familie, ca. 1900 (Foto: Privatbesitz)

Die Molkerei an der Stadthofstrasse 11 wurde durch seinen Sohn und den Schwiegersohn weitergeführt. Auch sein Sohn Melchior meldete noch 2 Patente an, allerdings mit berufsbezogener Thematik 1909 zu einer Milchkühlanlage und 1910 zu einem Verfahren und Maschine zum Pressen und Teilen von Butter.

Weiterführend:

Die Erdkarte No. 2 auf dem Boden der Versandschachtel des Erdreliefs. Gut zu erkennen die jahreszeitlichen Zugbahnen der Sonne über der Erde.
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