1178 – Murbach – Luzern – Stiftung der Leutpriesterei: Eine Jahrzahl und drei Begriffe, die Historiker über die Gründung der Stadt Luzern um 1178 haben spekulieren lassen. Eigentlicher Gegenstand der Urkunde ist aber die Seelsorge: Wer kümmert sich um diese, und welche Rechte und Pflichten hat der zuständige Verantwortliche? Fragen, die die Propstei St. Leodegar damals stark berührten.
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Benediktinermönche und Seelsorge – das passte spätestens seit den karolingischen Kirchenreformen nicht mehr zusammen. Ab dem frühen 9. Jahrhundert nämlich sollten Seelsorge und Mission Aufgaben von Weltgeistlichen unter der Führung der Diözesanleitung und nicht von Mönchen sein. Die Benediktiner zogen sich denn auch immer mehr aus der Seelsorge zurück.
Am westlichen Ufer des Vierwaldstättersees war die Seelsorge auch nach dem 9. Jahrhundert noch Sache der Mönche von St. Leodegar: Sie tauften, führten Irrende auf den «richtigen» Pfad zurück oder versahen Sterbende mit der letzten Ölung. Dieses monastische Seelsorgesystem geriet später allerdings unter Druck, als sich im Zuge des wachsenden Selbstbewusstseins der Städte der Trend entwickelte, die Seelsorge von eigens dafür bestellten Weltgeistlichen ausüben zu lassen. So wurde beispielsweise 1149 auf Wunsch der Pfarrei-angehörigen in Zürich die Seelsorge von allen Chorherren des Grossmünsters auf einen einzigen wirklich dafür verantwortlichen fixiert. Gleiches geschah 29 Jahre später in Luzern, möglicherweise ebenfalls auf Wunsch einer Laiengruppe um den Klostervogt Arnold von Rothenburg. Die Klostermönche ihrerseits konnten fortan ihre Ämter und Stundengebete von den Volksgottesdiensten trennen. – Seelsorgerisches Zentrum wurde künftighin die Peterskapelle, Seelsorger ein mit einer eigenen Pfründe versehener Weltgeistlicher.
Selbstverständlich musste diese Abtrennung geregelt werden: Welche Einkünfte standen dem Leutpriester zu? Wann sollte er wo Messe halten? Wer durfte die Opfer beziehen? All das und noch mehr regelten Konrad von Eschenbach, Abt von Murbach, mit Zustimmung seines Bruders und Luzerner Propstes, Ulrich von Eschenbach, im sogenannten Plebaniebrief von 1178. Dabei behielten sich die Mönche das Recht zur Ausübung bestimmter seelsorgerischer Verrichtungen wie der letzten Ölung ausdrücklich vor. Demnach blieb das Kloster vergleichsweise stark in die Seelsorge involviert – ein Sonderfall innerhalb von Kirchenrecht und gemeinhin geltender Praxis, die die Seelsorge klar ausserhalb der monastischen Welt ansiedelte.
Regest
Abt Konrad von Murbach gibt mit Zustimmung seines Bruders Ulrich, Propst in Luzern, und mit dem Einverständnis der Konvente von Murbach und Luzern die Leutpriesterei in Luzern, die er und seine Vor-gänger inne hatten, zuhanden des Konstanzer Elekten Berchtold auf. Daraufhin setzt er nach erfolgter kanoni-scher Wahl durch Propst und Konvent Wernher von Kriens als ersten rechtmässigen Leutpriester ein ( … deinde canonica electione prenominati prepositi tociusque conventus … W. de Chriens primum legitimum plebanum … constituit).
Als nächstes folgen die Einkünfte und ein erster Teil der leutpriesterlichen Pflichten: Wernher werden eine Pfründe in Luzern, ein Haus im Klosterbezirk, der Gau «Blatten», die Zehnten der Höfe Staffeln und Ruopigen (beide Littau) zugewiesen, verbunden mit der Pflicht, am Chorgebet teilzunehmen, solange ihn die kirchlichen Geschäfte nicht davon abhielten ( … choro plebanus convenienter intersit, nisi ecclesiastica negocia prependiat … ). Ausserdem soll der Leutpriester dem Mönchskonvent alljährlich 20 Schilling Zürcher Währung entrichten, dazu alle vier Jahre dem Abt zehn Pfund Denare.
Für Ämter und Gottesdienste, denen das Volk beiwohnt, wird dem Leutpriester die «Kapelle» beim «Hof» (villa) zugewiesen (Peterskapelle). Dort soll der Leutpriester das morgendliche Amt halten, doch darf er erst dann den Chor der Klosterkirche in Richtung Peterskapelle verlassen, wenn im Kloster die «Laudes» beginnt. Analog dazu soll er abends während des klösterlichen «Magnificat» den Chor verlassen, um in der Peterskapelle die Vesper zu halten.
Die Pfarreiangehörigen sind dem Hirten (Leutpriester) zu Gehorsam verpflichtet. Es steht ihnen aber frei, auch Mönche ans Krankenbett zu rufen, sie um Rat zu fragen und Mess- oder Gebetsstiftungen vorzunehmen. Der folgende Passus beschreibt das «richtige» Vorgehen bei den Begräbnisfeiern, die in der Klosterkirche stattfin-den sollen. Der Leutpriester hat dabei die Aufgabe, die Totenmesse am Kreuzaltar zu halten und den Leichnam der Erde zu übergeben ( … plebanus … missam pro defunctis in altari sancte crucis celebret … plebano cor-pus terre comendante … ). Unter Umständen können die Mönche der Messe und dem Begräbnis beiwohnen.
An Sonntagen hält der Leutpriester die Messe am Kreuzaltar in der Klosterkirche (auch an Werktagen, sofern es der Leutpriester für richtig hält). Dabei darf er die Prim der Mönche nicht stören und muss andernfalls die Messe in der Peterskapelle zu Ende bringen. An Ostern und Pfingsten weihen die Mönche den Taufbrunnen in der Klosterkirche, und einer von ihnen tauft das erste Kind. An Kreuzauffindung (3. Mai), zum Fest von Johannes dem Täufer (24. Juni) und an St. Leodegar (2. Oktober) hält der Klosterkustos die Messe und verteilt die Hostien. An irgendwelchen Orten im Kloster dargebrachte Kerzenopfer oder am Kreuzaltar gestiftete Opfer gehen an den Kustos, unter anderem solche, die Frauen nach Geburten darbringen. Die Ausnahme sind jene Opfer, die explizit dem Leutpriester zugedacht sind. Von den Opfern entschädigt der Kustos den Leutpriester für Wein, Paramente, Kelche, Hostien etc.