Lucerne’s Seven – falsche Geschäfte über die Landesgrenze hinaus. Ein Ponzi-System erster Stunde, dessen Schneebälle Lawinen auslösen können.
Der Fall begann 1914 mit Merz’ Verkauf von Rentenverträgen, welche günstig erworben werden konnten und lukrative Gewinne abgeworfen hätten, wären sie nicht von Edmunds Hand gefälscht worden. Mit diesen Fälschungen trat er an unseren Bibliothekar heran und überzeugte ihn von deren Erfolgen und der Versicherung, dass diese Rentenverkäufe über die Firma Topping & Spindler liefen. Es war (angeblich) seine Hauptaufgabe in diesem Wettbüro, mit solchen Rententiteln zu handeln. Heinemann, der Merz’ luxuriösen Lebensstil kannte und über die Seriosität von Topping & Spindler im Bilde war, brauchte nicht viel mehr Überzeugung. Von Merz erwarb er für sich selber mehrere solcher Rentenverträge und überzeugte seinen Bruder und eine Vielzahl von vermögenden Freunden, sich ebenfalls solche Verträge zu sichern. Merz benutzte die eingehenden Zahlungen, um die ersten Gewinnzahlungen zu tätigen, was die Investierenden vollends von deren Käufen überzeugte.
Zur gleichen Zeit reiste Merz nach Deutschland, um seinen vielen Geschäften nachzugehen. Passprobleme bei ihm und einem Mitreisenden brachte die beiden Herren ins Gespräch und bald zum Geschäftlichen. Sein neuer Bekannter, Giulio Musetti, Kaufmann aus Berlin, war gerade dabei, ein neues Liefergeschäft aufzubauen, bei dem Südfrüchte aus der Schweiz nach Deutschland verkauft werden sollten. Merz bot sich als Geschäftspartner an. Er würde 40'000.– Franken vorschiessen, und die beiden, so Merz, teilten sich Verlust und Gewinn zu gleichen Teilen. Musetti ging darauf ein und erhielt den Vorschuss in mehreren Raten.
Währenddessen war auch Franz Heinemann sehr umtriebig. Er traf sich mit einem Bekannten, Carlo Ferrario, seines Zeichen Kaufmann aus Mailand, und erzählte ihm von den lukrativen Rentenverträgen. Ferrario zeigte grosses Interesse und kaufte selbst einen solchen Vertrag. Ferrario, welcher mit diversen Gütern handelte, befand sich in der schwierigen Lage, einen deutschen Anilinhändler finden zu müssen. Heinemann empfahl ihm daraufhin Edmund Merz als kompetenten und seriösen Kaufmann, der sicherlich in der Lage wäre, einen solchen Händler ausfindig zu machen. Merz und Ferrario willigten umgehend in das gemeinsame Geschäft ein, und Merz begab sich auf die Suche. Er wurde aber nicht fündig. Stattdessen kaufte er in Basel verschiedene Farbmusterbüchlein und präsentierte sie Ferrario als Muster eines deutschen Händlers. Glücklich einen Händler gefunden zu haben, schloss er mit Merz und Heinemann ein Geschäft ab und bezahlte ihnen einen Vorschuss von 250'000.– Franken für den Kauf der Anilinwaren. Als Sicherheit wurden in Ferrarios Namen mehrere Rentenverträge und Kriegsanleihen, verpackt in ein Couvert, in einem Banksafe hinterlegt.
Merz, der natürlich weder einen Händler noch Anilin hatte, geriet unter Zugzwang, als Ferrario vehement auf die Lieferung bestand und keine Geduld mehr für Merz’ Entschuldigungen hatte. Merz sah sich gezwungen, die Sache zu verschleiern, und führte zu diesem Zweck einen gewissen J.C. Rehbender, Anilinhändler aus Deutschland, ins Feld. Rehbender, eine von Merz erfundene Person, brachte neue Erklärungen, Bestätigungen und Korrespondenzen mit sich, die alle Beteiligten beruhigen sollten. Dies gelang nur solange, bis Ferrario dem Schwindel auf die Schliche kam. Zum ersten Mal nahm er die im Banksafe verschlossenen Rentenverträge unter die Lupe und realisierte, dass sie wertlos waren. Ein noch grösserer Schock traf ihn, als er im gelben Couvert statt der vermeintlichen Kriegsanleihen nur Verpackungspapier vorfand. Der Schritt zur Polizei und Staatsanwaltschaft war dann schnell getan.
Gefälschter Rentenvertrag
Die Untersuchungen brachten weitere Verstrickungen ans Licht. So fand die Luzerner Kriminalpolizei nicht nur bei Edmunds Ehefrau, Anna Merz-Amrein, sondern auch bei Merz’ Geliebter, Karoline Jäckle, und bei deren Schwester Mina Geld versteckt. Die beiden jungen Frauen waren beide «nicht arbeitstätig». Trotzdem war ihre gemeinsame Wohnung vollgestopft mit luxuriösen Möbeln und teurem Schmuck. Merz überwies seiner Geliebten monatlich Geld. Darüber hinaus war das Kellerabteil von Karoline Jäckle randvoll mit Flaschen des Weinhändlers Jakob Döbeli sen. – wohl alles bezahlt von Edmund Merz. Auch Döbelis Sohn hing in der Geschichte mit drin. Er hatte nicht nur ein Verhältnis mit Mina Jäckle, sondern war zeitweise auch als Chauffeur von Edmund Merz tätig und hatte von ihm ein Darlehen für den Kauf eines neuen Fahrzeugs erhalten. Der Vertrag dazu war von den beiden Herren Döbeli gefälscht worden, wohl um zu vertuschen, woher das Geld eigentlich stammte.
Die Polizei war sich bald sicher, dass Merz und seine Bekannten, allen voran Franz Heinemann, unter einer Decke steckten. Sie wurden alle verhört, ihre Häuser und Wohnungen durchsucht und schliesslich des Betruges angeklagt.
Merz war alsbald geständig und während seiner dreijährigen Zeit in Untersuchungshaft bestand er darauf, alleine gehandelt zu haben. Für seine Frau, die Schwestern Jäckle und die beiden Döbeli engagierte er einen Anwalt, welcher umgehend Rekurs gegen die Anklagen seiner Familie und Freunde einreichte. Alle fünf Angeklagten wurden auf freien Fuss gesetzt. Soweit aus den Akten ersichtlich ist, gab es für sie keine strafrechtliche Verurteilung. Merz selber wurde im Sommer 1919 des «fortgesetzten einfachen und qualifizierten Betrugs» schuldig gesprochen und zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt.
Und Heinemann? Unser Bibliothekar konnte sehr glaubhaft beweisen, dass auch er Opfer von Merz’ Betrügereien geworden war und wurde nach einer langwierigen juristischen Streiterei mit Ferrario dann auch endgültig als unschuldig befunden. Aus den Akten geht deutlich hervor, dass man Heinemann höchstens Naivität und Gutgläubigkeit vorwarf, jedoch kein Verbrechen.
Die Frage, was mit unserem Geschäftsmann Musetti geschehen ist, ist nicht abschliessend zu beantworten. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft waren die Geschäfte zwischen Musetti und Merz reiner Deckmantel für Hehlerei und eine weitere Methode dafür, wie unser Betrüger das Geld beiseiteschaffte. Die Staatsanwaltschaft klagte ihn deshalb wegen Hehlerei an und verlangte drei Jahre Zuchthaus und fünf Jahre Landesverweis. Aus unseren Akten ist jedoch nicht ersichtlich, ob diese Anklage von Erfolg gekrönt war.
Edmund Merz war ein Lebemann, der während seiner Gefängniszeit einige Gedichte verfasst hatte und fast zeitgleich mit Charles Ponzi ein sogenanntes Ponzi-System aufgezogen hatte. Hätte er ein wenig länger betrügen können, würde man dies heute vielleicht sogar als Merz-System bezeichnen. Bekannt sind solche Ponzi-Systeme und die nahverwandten Schneeball-Systeme aus Fällen wie dem «European Kings Club» welcher in den 1990er Jahren hauptsächlich in der Schweiz und Österreich lief. Ein weiteres berühmtes Beispiel ist der Amerikaner Bernie Madoff, welcher über Jahrzehnte hinweg Milliarden mit seinem Schneeball-System ergaunerte. 2008 wurde er verhaftet und legte ein Geständnis ab. 2009 wurde er zu 150 Jahren Gefängnis verurteilt.
Verwendete Quellen im Staatsarchiv