Der Heiratsschwindler aus Gunzwil

Robert Karl Stocker: umtriebiges Verbrechergenie oder missverstandener Herzensbrecher? Ihm waren Geld und Ansehen wichtiger als die Liebe, die seine Opfer in einer möglichen Heirat zu finden erhofften.

Robert Karl Stocker wurde am 25. Juni 1907 in Zug geboren und wuchs im luzernischen Gunzwil auf. Er lernte Konditor und arbeitete zeitweise auch als Maschinist. Verheiratet war er mit Margrith Buchser. Aus dieser Ehe entsprangen vier Kinder. Im Januar 1942 liess sich das Ehepaar Stocker-Buchser scheiden, und die Kinder kamen in ein Kinderheim in Sursee. Für die Kinder hatte Stocker fortan weder Zeit noch Interesse, selbst die verfügten Alimente bezahlte er nicht. Aus der Armee wurde er ausgeschlossen, nachdem er dort zum ersten Mal straffällig geworden war.

Man könnte ihn also auf den ersten Blick als unsteten Zeitgenossen beschreiben, der über ein ausgefuchstes Wesen verfügte. Wenn man rückblickend die lange Liste an Geschädigten betrachtet, kann man davon ausgehen, dass er ein charismatischer und überzeugender Mensch war, der die Opfer in seinen Bann ziehen konnte.

Bevor es im Sommer 1943 zu einer längeren Haftstrafe kam, war er bereits mehrfach vorbestraft gewesen. Zwischen 1929 und 1939 sammelte er mehr als ein Dutzend Vorstrafen an, die mehrere Gefängnis- und zwei längere Zuchthausaufenthalte mit sich führten.

Stocker betrog die Menschen auf unterschiedlichste Arten um ihr Geld und beging auch diverse Diebstähle (mit Vorliebe stahl er Fahrräder, Geld, Werkzeuge aber auch Sprengstoff inklusive einer Zündschnur und mehreren Zündkapseln). Wir legen in dieser Ausstellung den Schwerpunkt auf eine spezifische Art von Betrug, für die Robert Karl Stocker bekannt war: den Heiratsschwindel.

Robert Karl Stocker im Anzug
Robert Karl Stocker im Anzug
Inserat, verfasst von Robert Stocker
Hierfür verfasste Stocker selber Inserate in diversen Zeitungen oder antwortete auf Inserate von Frauen. Darin suchte er ein «liebes Fräulein» zum Aufbau einer gemeinsamen Zukunft. Seine Opfer waren bevorzugt finanziell schwächer gestellte Frauen, Dienstmädchen, Mägde oder Witwen. 
Aus diversen Zeugenaussagen erfahren wir, dass Stocker sich jeweils als sehr gut situierter Mann vorstellte, in gut bezahlter Stellung, mit erfolgreichen Geschwistern oder bisweilen auch in Erwartung einer sehr grosszügigen Erbschaft. Um vertrauenswürdiger zu wirken, erschien er bei seinen Rendezvous in einer Leutnantsuniform. Stocker versprach teilweise schon beim ersten Treffen die Heirat, zeigte, dass es ihm scheinbar ernst war, und es gelang ihm regelmässig, innert kürzester Zeit das Vertrauen von Frauen zu erschleichen. 
Mit seiner eigentlichen Motivation hielt er nie lang hinter dem Berg. Er bedrängte die Frauen, ihm Geld zu leihen, da er entweder seine Brieftasche vergessen oder verloren hatte und zur Arbeit reisen oder zu einem vermeintlichen Militärdienst einrücken musste. Er versprach, ihnen das Geld schnellstmöglich zurückzubezahlen, was natürlich nie geschah und auch nie beabsichtigt war. Gaben sich die Frauen skeptisch oder waren nicht so leicht zu überzeugen, scheute er auch nicht vor drastischeren Mitteln zurück bis hin zur Androhung, sich das Leben zu nehmen.
Robert Stocker in Uniform
Im Sommer 1942 wurde er wieder einmal verhaftet und in das Zentralgefängnis in Luzern überführt. Da Platzmangel herrschte, überwies man ihn in die Strafanstalt Sedel, wo er am 1. September 1942, an seinem ersten Tag der Inhaftierung, einen erfolgreichen Fluchtversuch unternahm, und sich nach Arosa absetzen konnte. Ab diesem Zeitpunkt erschien er unter einer falschen Identität: Seine Betrügereien setzte er fortan unter dem Namen Josef Amrein fort. Josef Amrein war kein zufälliger Alias. Der «originale» Amrein war nämlich ein Bekannter Stockers und seiner ehemaligen Ehefrau, welche für Amrein eine Zeit lang die Wäsche gemacht hatte. Von nun an stellte er sich seinen Opfern als selbiger vor, unterschrieb Dokumente mit dessen Namen und trat diverse Stellen unter seinem Alias an. Unterdessen war die Polizei noch immer auf der Suche nach Stocker, begann aber alsbald auch nach Josef Amrein zu fahnden. 
Geburtstagskarte, signiert mit dem Alias «Seppi»

Mit Hilfe von Photographien und Fingerabdrücken von Josef Amrein flog der Schwindel schliesslich auf, und im Juni 1943 gelang es der Polizei, Robert Karl Stocker festzunehmen.
Stocker zeigte sich in jenen Fällen als geständig, bei denen man ihm seine Betrügereien auch tatsächlich beweisen konnte. Während seiner Zeit in Untersuchungshaft unternahm er einen Selbstmordversuch und verlangte mehrfach eine psychiatrische Untersuchung, da er laut seinen eigenen Worten «zu spinnen» glaubte und er «mit Hilfe der Ärzte ein beständiger Bürger werden wollte». In der heutigen Zeit würde er eine solche psychiatrische Untersuchung womöglich erhalten. Zur Mitte des 20. Jahrhunderts aber sah man darin keine Notwendigkeit.
Stocker wurde zu eineinhalb Jahren Zuchthaus und fünf Jahren Verlust seiner Bürgerrechte verurteilt. Aus der betreffenden Akte ist nicht ersichtlich, was anschliessend mit ihm geschah, und ob er es zeitlebens tatsächlich schaffte, ein «beständiger Bürger» zu werden.

Diese Art des Heiratsschwindels findet auch heute statt. Hierfür wird oft der englische Begriff «Romance Scam» verwendet. Einer der bekanntesten und grössten Fälle ist der vor einigen Jahren publik gewordene «Tinder-Schwindler». Das Internet bietet eine interessante Plattform für diese Art von Betrug, und es gibt unzählige Fälle dieser Art in allen möglichen Varianten und Schattierungen. Allen Fällen ist gleich, dass mit den Gefühlen und der Hoffnung auf Liebe und Zweisamkeit gespielt wird, um sich an den Opfern zu bereichern. Oft führen die Untersuchungen zu grossen Büros, in denen diese Romance Scams erwerbsmässig und professionell begangen werden. Fast nie erhalten die Opfer Gerechtigkeit, geschweige denn ihr Geld zurück. Alles was zurückbleibt, ist der Verlust und die Scham der Opfer.

Verwendete Quellen im Staatsarchiv