Lothar-Urkunde, 25. Juli 840 n. Chr.

Archives Départementales du Haut-Rhin, Colmar (ADHR FRAD068/GD009)

Die Geburt Luzerns oder mindestens deren Bestätigung: Dies ist – plakativ – der Inhalt der vorliegenden Urkunde von 840 n.Chr aus den Archives Départementales du Haut-Rhin in Colmar. Tatsächlich haben wir den ältesten überlieferten Beleg über die Existenz des Klosters und damit auch des Ortes Luzern vor uns liegen. Ein Beleg, der mit dem Hinweis auf den 768 n.Chr. gestorbenen König Pippin den «terminus ante quem» der 1250jährigen oder älteren Geschichte St. Leodegars liefert.

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Erwähnung des «monasterium luciaria»

Der Inhalt der sogenannten Lothar-Urkunde mutet aus heutiger Sicht etwas seltsam an: Er bestätigt die Schenkung von edlen Männern; ein Widerspruch, könnte man vermuten, denn wie können Männer, edel und frei, überhaupt geschenkt werden? Verständlicher wird der Passus, wenn man weiter unten in der Urkunde liest, dass es die im Feudalsystem der Zeit verankerten Reichsdienste sind, die Heerfolge, Beherbergungspflichten etc., die geschenkt werden, nicht die Männer als solche.

Interessant ist aus Luzerner Sicht aber vor allem die ungefähr in der Mitte der Urkunde auftauchende Phrase «monasterium luciaria», Kloster Luzern; eine absolute Neuheit, denn nirgendwo früher taucht der Ort «Luciaria», «Luzern», auf, und nirgendwo früher ist die Existenz eines luzernischen Klosters belegt. Wir notieren das Jahr 840 n.Chr., das Jahr also, in dem der Enkel Karls der Grossen, Lothar, Kaiser war. Lothar bestätigt aber nur das, was bereits sein Vater, Ludwig der Fromme, bestätigt hat, und was sein Urgrossvater, König Pippin, damals, zur Mitte des 8. Jahrhunderts, verordnet hatte. Sowohl das Kloster wie auch die Herrschaft Luzern sind also noch Jahrzehnte älter als die Urkunde von 840.

Ein weiterer interessanter Aspekt der Urkunde ist das Auftauchen von Sigimar, Abt von Murbach. Er war es, der die Bestätigung der Pippin'schen Schenkung bei Kaiser Lothar überhaupt erwirkte. Was aber hatte ein Abt von Murbach mit dem Kloster in Luzern zu tun? Leistete Sigimar einen Freundschaftsdienst für das befreundete Kloster in Luzern oder agierte er als Vorsteher eines dem Kloster Murbach unterstellten Instituts?

Text und Inhalt der Urkunde sind für die Geschichte Luzerns wichtig und fanden bei der Forschung entsprechend viel Beachtung; dies umso mehr, als man die Urkunde lange nur einer spätmittelalterlichen Abschrift nach kannte, und das Original (es liegt heute in den Archives Départementales du Haut-Rhin in Colmar) erst ab der Mitte des 19. Jahrhunderts eingesehen werden konnte.

Transkription

In nomine domini nostri Ihesu Christi dei aeterni Hlotharius, divina ordinante providentia imperator augustus. Si petitionibus servorum dei iustis et rationabilibus divini cultus amore favemus, superna nos gratia muniri non dubitamus, ideoque noverit industria omnium fidelium nostrorum tam presentium quam et futurorum, quia vir venerabilis Sigimarus abba ex monasterio, quod dicitur Vivarium Pergrinorum situmque est in ducatu Alsacense super fluvium Morbac et constat esse constructum in honore sancti Leodegarii et sancti Petri apostolorum principis vel sanctae die genetricis semperque virginis Mariae, detulit nobis sacrae memoriae genitoris Hludowici auctoritatem, in qua erat insertum, qualiter attavus noster Pipinus quondam rex et ipse postmodum in sua elemosina concessissent monasterium Luciaria vel monachis ibidem degentibus homines ingenuos quinque his nominibus Waldonem, Vulfarium, Vulfinum, Wolfoldum et Vulbertum cum filiis et posteris eorum commanentes in loco nuncupante villa Emau super fluvium Riusa in pago Aregaua, videlicet ut illud, quod ad partem publicam facere consueverant, ad praedictum monasterium fecissent. Unde memoratus abba deprecatus est clementiam nostram, ut pro firmitatis studio et animae nostrae emolumento eandem praeceptionem nostra confirmaremus auctoritate.

Quod et ita et nos fecisse omnium fidelium nostrorum cognoscat industria. Praecipientes ergo iubemus, quemadmodum et in eodem praecepto continetur, de itinere exercitale seu sacras vel quamcumque partem ire praesumat aut mansionaticos aut mallum custodire aut navigii facere vel alias functiones aut freda exactare, et quicquid ad partem comitum aut iuniorum eorum seu successorum exigere poterat, sicut idem attavus noster et genitor concesserunt et per eorum auctoritatem confirmaverunt, ita nostris futurisque temporibus firmum et stabile permaneat.

Et ut haec auctoritas nostra firmior habeatur et per futura tempora melius conservetur de anulo nostro subter iussimus sigillari.

Richardus ad vicem Agilmari recognovi.

Data viii. kald. Aug. anno Christo propicio imperii domni Hlotharii pii imperatoris xxi., indictione iij. Actum Strazbur civitate in die nomine feliciter, amen.

Übersetzung

Im Namen unseres Herrn Jesu Christi des ewigen Gottes, Lothar, durch Anordnung der göttlichen Vorsehung erhabener Kaiser. Wenn wir aus Liebe zum göttlichen Dienst gerechten und verständigen Bitten der Diener Gottes gewogen sind, zweifeln wir nicht, mit oberer Gnade befestigt zu werden. Daher sei kund und zu wissen allen unseren Getreuen, gegenwärtigen und zukünftigen, dass der ehrwürdige Sigimar, Abt aus dem Kloster, das «Pilgerweiher» heisst, im Herzogtum Elsass über dem Fluss Murbach liegt und bekanntlich zu Ehren des heiligen Leodegar und des heiligen Peter, des Apostelfürsten, sowie der Gottesmutter und immerwährenden Jungfrau Maria erbaut worden ist, uns einen Beschluss unseres Vaters Ludwig, heiligen Andenkens, vorgelegt hat, worin festgehalten war, wie unser Urgrossvater Pippin, einst König, und bald darauf er selbst dem Kloster Luciaria oder den dort weilenden Mönchen fünf edle Männer namens Waldo, Wulfari, Wulfin, Wolfold und Wulbert mit Söhnen und Nachkommen, die an einem Ort beim so genannten Dorf Emmen, gelegen über dem Fluss Reuss im Gau Aargau, als ihre Gottesgabe zugestanden haben; und zwar deshalb, dass das, was sie gewöhnlich für das Reich leisteten, nun für das vorgenannte Kloster erbringen sollen. Daher hat der erwähnte Abt unsere Milde angefleht, dass wir zu mehrerer Sicherheit und zum Heil unserer Seele diese Vergabung kraft unseres eigenen Beschlusses bestätigen.

Kund und zu wissen allen unseren Getreuen, dass dem so ist und wir das getan haben. Wir befehlen und verordnen also auf gleiche Weise, wie es auch in der Vergabungsurkunde enthalten ist, dass sich sonst niemand anmasse, Forderungen zu stellen, sei es hinsichtlich der Heerfolge, oder sei es um Botenritte oder Transporte in irgendwelcher Richtung zu leisten, die Pflicht der Beherbergung und des Tagdings zu beobachten, Fährendienste und andere Arbeiten zu übernehmen und Friedensgelder einzutreiben oder sonst irgendetwas zu leisten, was von Seite der Grafen, ihrer Unterbeamten oder ihrer Nachfolger verlangt werden konnte. Wie selbes unser Urgrossvater und Vater vergabten und durch Urkunde ihrerseits bestätigten, so soll es zu unsern und in künftigen Zeiten fest und unveränderlich fortbestehen.

Und damit dieser unser Beschluss umso fester gehalten und in künftigen Zeiten umso besser beobachtet werde, haben wir befohlen, unten mit unserem Ring zu besiegeln.

Ich, Richard, habe sie anstelle Agilmars unterzeichnet. Gegeben am 25. Juli durch Christi Gnade im 21. Jahre der Regentschaft Lothars, des frommen Kaisers, in der dritten Indiktion. Gegeben zu Strassburg in der Stadt, im Namen Gottes, mit Glück, Amen.