Migration: Brief des Luzerner Auswanderers Josef Unternährer an seine Geschwister 1871

Es ist nicht einfach, mit den Daheimgebliebenen in Kontakt zu bleiben: Josef Unternährer aus Sörenberg leidet nicht nur unter Altersbeschwerden, auch die Folgen des vergangenen Bürgerkriegs sind noch spürbar. Und der Postverkehr ist infolge des Krieges zwischen Deutschland und Frankreich gestört. Bei allen Unterschieden hält man sich an das Gemeinsame und berichtet über Arbeit in der Landwirtschaft und die Steuern.

Literatur:
Steinach, Adelrich. Swiss colonists in 19th century America [Reprint] new introd. and indexes by Urspeter Schelbert, Camden 1995 (StALU G.h 34).
Zbinden, Karl. Die schweizerische Auswanderung nach Argentinien, Uruguay, Chile und Paraguay, Affoltern am Albis 1931 (ZHBLU F1.224.lb.4).

Das Original liegt im Staatsarchiv Luzern mit der Signatur PA 183/3

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Brief des Luzerner Auswanderers Josef Unternährer an seine Geschwister 1871 - Seite 1
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Wheeling July 5 1871
Vielgeliebte Geschwister!
Es tut mihr leid, das Ihr zum 3.ten mahl
schreiben mußtet ohne von mihr eine Ant-
worth zu erhalten. Auf das 1te Schreiben
sollte und konnte ich freilich antworthen, da
damahls die Post über Frankreich noch
gienge, aber es wurde verseumt, und
immer auf bessere Zeiten spekuliert,
damit ich meinem Versprechen gemäß
Euch noch ein kleines Present schicken könnte.
Aber der Mensch denkt und Gott lenkt.
Wihr hatten die letzten 2 Jahre ziemlich harte
Zeiten, die Produkte sind zum Theil
in unser Gegend mißrathen.
Unsere Steuern und Abgaben <sind> wahren imer noch
in Volge des Krieges hoch, und was
man noch ausstehen hat, kommt nicht ein,
und bedeutendes müßen wir ganz verlie-
ren. Euer 2tes Schreiben kam
gerade in den teutsch und französischen
Krieg, da die Briefe nicht über
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Frankreich giengen. So schrieb ich wieder
nicht. Den Brief vom 8ten Brachmonat
erhielt ich mit der letzten Post (1ten Heumonat),
der uns, dank Gott, Euer Wohl meldete.
Auch wihr können und wollen nicht klagen.
Das Alter kommt langsam herbei, man wird
schwächlicher und gebrechlicher, besonders wenn
die Brust leidet. Schwere anhaltende Arbeit
kan ich nicht mehr verichten. Das Leiden wird
mich auch nicht mehr verlassen, die Heiserkeit
beim Sprechen ist zwahr etwas beßer, und
bei leichter Beschäftigung mag ich vieleicht
mit Gottes Hülfe noch einige Jahre aushal-
ten. Doktor gebrauche ich keinen, meine
Leiden sind die der Lungen, es ist ein langsam-
mes auflösen <der> und ausspien der Lunge,
und der Mensch kan nach dem Auspruche der
Artzte 25 bis 30 Jahre und länger daran leiden.
Bruder Johann habe
ich 1 Jahr nicht gesehen, er hatt zu dieser
Zeit sein neues Haus bereitz vertig.
Seine 2 Stiefsöhne helfen ihm bei der
Arbeit und kommen wie ich glaube gut
Brief des Luzerner Auswanderers Josef Unternährer an seine Geschwister 1871 - Seite 3
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voran. Ich werde ihn bald besuchen und Euch
dan im nächsten mahl mehr von ihm schreiben.
Letzten Winter hatten wihr viel
Schneh. Das Frühiahr kam aber bald und
die Früchte sind dies Iahr schön, mit Ausnah-
me der Kartoffel, welche von Käffern
(Box genant) gefreßen werden, und die war-
scheinlich theuer bleiben. Im algemein-
en aber sehen wihr doch einer beßern Zukunft
entgegen. Stadtsabgaben (Steuern) werden schon
etwas erleichtert. Unser Schuhldiestrikt
wird zwahr noch etwas hart mitgenommen,
da unser Schulhaus letzen Winter abgebrant,
und das neue auf 2200 Dollar stehende von
einem 2 Meilen im Qatrat großen
Distrikt muß bezahlt werden, so haben wihr
für die nächste 2 Jahre die Steuer ziemlich
hoch. Schreibe du, geliebte
Schwester, nur immer selbst, da du ia so schöne
Briefe schreibst, und du vieleicht auch am besten
die Zeit dazu erübrigen kanst. Nur
laße im nächsten auch B(ruder) Franz oder Frau
einige Zeilen beitragen und uns meld-
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den, wo sie wohnen und ob die letzten
Kinder Buben oder Mädchen sind.
Es freut mich, das die lieben
Sörenberger neue Gloken und Orgel haben.
Der Herr möge sie alle segnen und beglücken
und ihnen allezeit gute Sehlsorger und Lehrer ver-
leihen, und ruft die Glocke und Orgel, mit freudigem
Herzen hineilen, ihre Herzen zu laben und ihre
Sehle zu reinigen und zu erqicken.
Ich will denn das wenige in der
Hoffnung, daß es Euch alle wohl treffe, mit
herzlichen Grüßen beschließen, und erwarthe wied-
er baldige Antworth.
Euer Euch liebender Bruder Joseph Unternährer
Schönen Gruß von meiner Frau an Euch alle,
so wie auch an ihre Geschwistern und
Freunde.
Wihr haben unsern Store (Kaufladen)
noch vermietet, und wohnen oben auf dem
selben, im 2ten Stocke.
Es ist ietzt bereitz um die Erntezeit.
Roggen und Gerste werden bis nächste Woche
eingeärntet, auch Weitzen und Hafer werden bald
zur Ernte reif sein.
Obiger

Transkription: S. Jäggi
Einleitung: G. Egloff
Produktion: M. Lischer   

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