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Lesungs- oder Evangelientexte gehören zur kirchlichen Liturgie wie der Taufbrunnen zur Pfarrkirche. Die zu lesenden Texte wurden in sogenannten Lektionaren, wie der vorliegende Band eines ist, zusammengefasst. Was aber haben die verspielten Eichhörnchen in den Randillustrationen des Lektionars mit den seriösen Evangelientexten zu tun? Dies wird erst klar, wenn man den Auftraggeber des Lektionars kennt.
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Kein Zweifel: Das sogenannte Pontifikallektionar aus dem Fundus der Messbücher von St. Leodegar ist ein ausserordentlich schönes Stück. Das liegt nicht nur an der sorgfältigen Schrift oder an der kunstvollen Initiale mit den St. Galler Heiligen Gallus und Othmar, sondern auch an den raffinierten Randillustrationen. Dort tummeln sich jede Menge Eichhörnchen: Eichhörnchen mit Weihwasserkessel und Wedel, Eichhörnchen mit Brevier und Gesangbuch, Eichhörnen mit Kerzen und Fahnen.
Warum die Eichhörnchen? Weil der Auftraggeber des Lektionars, der Abt des Wettinger Zisterzienser Klosters, ein Mann namens «Eichhorn» war. Der uns leider nur als B.G. bekannte Künstler hat sich offenbar einen Spass daraus gemacht, seinen Auftraggeber zu würdigen, indem er auf verschiedenen Seiten des Lektionars das Eichhörnchen-Motiv umsetzte. Auf der Illustration ganz unten im Bild treibt der Künstler seine Hommage mit dem Sarkophag, dem davor erscheinenden Eichhornwappen und den Abtsinsignien noch weiter.
Wie dieses wertvolle Manuskript (eine Zimelie) den Weg von Wettingen nach Luzern und somit in den Besitz St. Leodegars gelangte, lässt sich nicht rekonstruieren. Wahrscheinlich war es vom Kloster Wettingen zunächst einer privaten Sammlung eingegliedert und von dort aus dann an Luzern für den kollegiatstiftischen Messgebrauch weitergereicht worden.
Ach ja: Das Lektionar beinhaltet natürlich auch – seinem Zweck gemäss – Bibeltexte. Hier sind es ausschliesslich Evangelientexte, Texte des Neuen Testaments also. An St. Othmar (16. November), so wollte es das Lektionar, las der Messe haltende Chorherr oder Priester aus Lukas 8/16ff.: (Niemand aber zündet ein Licht an und bedeckt es mit einem Gefäß oder setzt es unter eine Bank; sondern er setzt es auf einen Leuchter, auf dass, wer hineingeht, das Licht sehe» (In illo tempore dixit Jhesus discipulis suis: Nemo accedit lucernam et in abscondito ponit, neque sub modio se super candelabrum ut qui ingrediuntur lumen videant).
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