Propst Schweiger'scher Brief, 13. September 1456

StALU URK 451/8097

Eine Tradition erlischt. Mit dem Einverständnis von Papst Kalixt III. (1455–1458), die klösterliche Propstei in ein weltliches Kollegiatstift umwandeln zu dürfen, regeln nun Propst Johann Schweiger und sein Kapitel mit der Stadt Luzern die dafür notwendigen Modalitäten; kein Brexit, aber ein «Benexit»: Der Austritt St. Leodegars aus dem Orden St. Benedikts «in corpore» war nun beschlossen.

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Warum der Verfassungswandel? Warum die klösterliche Verfassung ablegen und ein Kollegiatstift werden? Eine Frage, die sich nicht restlos klären lässt. Fest steht, dass die Benediktinerpropstei im Hof zum Zeitpunkt des Verfassungswandels schon längst nicht mehr das traditionelle gemeinschaftliche Klostergut besass. Stattdessen wies sie eine ausgebaute Pfründenstruktur auf, die die Einkünfte einzelnen Ämtern, Klerikern und Klosterbrüdern fest zuwies. Das entsprach definitiv nicht mehr der Regel des Heiligen Benedikt, die die Mönche streng zur Armut verpflichtete und Einkünfte zum Beispiel in Form von Pfründen kategorisch ausschloss. Dass es soweit kommen konnte, hatte seine Ursache auch in der personellen Entwicklung beim Kloster: Neben den Benediktinermönchen wohnten dort spätestens seit dem 12. Jahrhundert nämlich auch Weltgeistliche, die nicht auf eine Ordensregel und somit auch nicht zur Armut verpflichtet waren. Nun war das Nebeneinander von Mönchen und Weltgeistlichen offenbar nicht immer eine einfache Sache gewesen. Verschiedene Übereinkünfte und gerichtliche Vergleiche zeugen von einem kontinuierlichen Abstecken der Rechte gegeneinander. Die neue Verfassung als Kollegiatstift schuf nun eine klar weltgeistliche Ordnung und brachte gleichzeitig die gelebte Praxis in Einklang mit dem Kirchenrecht.

Dass die kollegiatstiftische Verfassung eine weitere Tradition, nämlich die noch verbliebenen Verbindungen zu Murbach, kappte, bedeute für St. Leodegar keinen wesentlichen Verlust. Obwohl noch im 14. Jahrhundert an St. Leodegar viele Mönche aus dem Elsass bepfründet gewesen waren, war das Verhältnis zwischen der Propstei in Luzern und der Abtei in Murbach seit dem Verkauf von Luzern an Habsburg 1291 geprägt gewesen von zwischenzeitlichen Belastungen und Versuchen der Luzerner, sich zu verselbständigen. Seit dem beginnenden 15. Jahrhundert fanden Elsässer Mönche nur mehr noch ausnahmsweise den Weg nach Luzern; 1442 beschlossen Propst und Kapitel gar, künftighin keine vom Abt von Murbach geschickten Personen mehr bei sich aufzunehmen. Endgültig vollzogen war die «kalte Scheidung» aber erst durch die neue kollegiatstiftische Verfassung. Auch in diesem Bereich brachte der Verfassungswandel also einen «Ist»-Zustand in rechtlich geordnete Bahnen.

Regest

Propst Johann Schweiger und das Kapitel vom Gotteshaus St. Leodegar werden bei der Stadt Luzern wegen der Umwandlung der Benediktinerpropstei in ein Kollegiatstift vorstellig. Wie ihre Vorfahren seien auch sie, Schweiger und seine Mitkapitularen, Angehörige des Benediktinerordens gewesen, «aber leider nit in solcher Geistlichkeit und Ubung der Regel». Derart «verweltlicht», hätten Sie am Heiligen Stuhl um die Einwilligung, das Kloster in ein Kollegiatstift umwandeln zu dürfen, ersucht und die Einwilligung auch erhalten. Die Einwilligung des Schultheissen und des Rates der Stadt Luzern folgt wenig später, zumal ihr, der Stadt, «söllichs nüt gebührlich noch kund sye der Geistlichkeit und Seelen halb»; Bedingung der Stadt: Ihre bisherigen am Gotteshaus besessenen Rechte dürften durch den Verfassungswandel nicht beschnitten werden.

Propst und Kapitel geloben nun feierlich, die Rechte der Stadt – ob Ämter, Lehen, Zinsen, Zehnten etc. – auch künftighin zu respektieren. Ferner bekräftigen sie die Absicht, etwaigen rechtlichen Ansprüchen Murbachs oder wessen auch immer gegenüber der Stadt entgegenzutreten, die bestehenden 12 Pfründen in ihrer Anzahl nicht zu mindern, und dass die Stadt weiterhin das Recht habe, die Leutpriesterei und die sogenannte Laienpfrund zu verleihen …

Der Propst und das Kapitel äussern sich sodann zum Verfahren der Wahl des Propstes und der Chorherren. Die Stadt solle nämlich das Recht haben, bei der Wahl des Propstes und einzelner Chorherren gleich viele Wahlberechtigte aus ihren Reihen zu stellen, wie das Chorherrenkapitel. Einzige Bedingung bei der Wahl eines Propstes sei: Es müsse einer der Stiftskapitularen sein. Vereinten mehrere Kandidaten gleich viele Stimmen auf sich, sollte ein gemeinsam durch Stift und Stadt bestimmter Obmann einen Stichentscheid fällen.

Gegenstand des Regelwerkes sind auch die Pflichten der Chorherren. Diese sollten im Stift residieren müssen, das Chorgebet besuchen, Messen lesen, sich anständigen kleiden und die Priesterweihe haben oder mindestens verbindlich erklären, Priester werden zu wollen. Förmlich festgehalten wird auch das Recht zu erben und zu vererben «alls ander weltlich Priester».

Künftige Pröpste und Chorherren werden angehalten, auf die einzelnen Punkte dieses Regelwerkes zu schwören. Nicht Genehmes sollte nicht bei fremden Gerichten eingeklagt werden dürfen, sondern ist verbindlich mit dem Schultheissen und dem Rat der Stadt Luzern zu besprechen. Die in diesem Brief festgehaltenen Abmachungen sind absolut, unbedingt einzuhalten und unter keinen anderem wie auch immer gearteten Rechtstitel in Frage zu stellen: «Dann, dass wir disse Verkommnusse und disen Brieff mit allen Stukhen und Begriffungen, wie der geschriben stäht, währ und stäthe halten, und darwider nit thun sollind noch wollind by unser gelübde, Eidt und Ehren, als wir auch dass zu thund gelobt und hoch versprochen hand, alle bösen sünde, Geverd und Arglist harinn gantz vermitten und hindann gesetzt.»