Tsunami und Tanzverbot 1601

In der Berichterstattung zur Flutkatastrophe im Indischen Ozean vom 26.12.2004 wurde mehrmals ein Tsunami im Vierwaldstättersee im Jahr 1601 erwähnt. Online-Zeitungsarchive, die Archive einzelner Zeitungen oder Recherchen bei Google führen schnell zu weiteren Angaben zu dieser Flutwelle - obwohl dieses Ereignis mehr als 400 Jahre zurück liegt:

Die Flutwelle wird in einer 2001 an der ETH Zürich veröffentlichten Studie erwähnt, die u.a. die Auswirkungen eines Erdbebens aus dem Jahr 1601 zeigt (vgl. auch NZZ vom 7.9.2001). Der wissenschaftliche Text wurde Ende 2002 in der amerikanischen Fachzeitschrift «Geology» veröffentlicht (englisch, Download). Die NZZ widmete der Studie am 8.1.2003 erneut einen Artikel (Text). Unter dem Titel «Wann kommt die nächste Flut» erschien dann am 22.1.2004 in der Neuen Luzerner Zeitung ein Artikel (Download).

Das Erdbeben vom 18.9.1601 mit Zentrum in Unterwalden forderte angeblich acht Tote. Erschütterungen waren in der ganzen Eidgenossenschaft zu spüren (vgl. Erdbebenkatalog der Schweiz ). Die durch das Erdbeben ausgelösten Rutschungen führten zu einer vermutlich bis zu 4 Meter hohen Flutwelle.

Besonderes Interesse weckt der ausführliche Bericht des damaligen Luzerner Stadtschreibers Renward Cysat (1545-1614, vgl. Kurzbiographie). In seiner Sammlung von Aufzeichnungen und Notizen, den so genannten Kollektaneen (22 Bände, Originale in der Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern, Sondersammlung) beschreibt er auf mehreren Seiten seine Beobachtungen. Die Kollektaneen sind im Original nicht ganz einfach benutzbar, sie sind aber teilweise gedruckt vorhanden.

Zum Zeitpunkt des Erdbebens (nach 1 Uhr nachts) hielt sich Cysat in Arth auf. Er hörte «ein wild gethümmel und wäsen mitt rumplen und boldern nitt anderst dann alls ob ein halb dotzet starcker männern uff- und aneinandren mit streichen, schlägen, ringen und fechten gewachsen wärent und allso durch das gemach hin und wider mitt einandern umbher wutschtend».

Auf dem Heimweg am nächsten Tag sah er, wie am Küssnachtersee Schiffe «ussgeworffen am gestad, by 50 guotter schritten wyt hindersich von dem ordenlichen uffer dannen und jn die höhe by zweyen hallenbarthen hoch oder meer obsich geschlagen befunden», also weit vom Ufer entfernt in einer Höhe von etwa 4 Metern über dem normalen Seespiegel.
In Luzern schilderte man ihm, wie das Wasser der Reuss mehrmals versiegt und wieder zurückgekehrt sei, so dass man fast trockenen Fusses die Reuss habe überqueren können.

Stadtansicht

(Die Stadtansicht von Martin Martini von 1596/97 zeigt Luzern zur Zeit von Renward Cysat. Ausschnitt, im Staatsarchiv unter der Signatur PL 5255)

Eine andere Erwähnung des Erdbebens findet sich im Protokoll des Luzerner Kleinen Rates «Donstags vor Sanct Mathaei tag anno 1601» (also am 20.9.1601, zwei Tag nach dem Ereignis). Da das Erdbeben als Zeichen für Gottes Zorn galt, erliess der Rat u. a. ein Tanzverbot, das bis zur nächsten Fasnacht gelten sollte - vermutlich ist damit die Herbstfasnacht gemeint, die bis 11. November/Martini dauerte (im Staatsarchiv unter der Signatur RP 47, 349v; Ausschnitt als Download)

Tanzverbot

Unnd diewyl dann von der schwäre unnd vile unser sünden wegen Gott der allmechtig uns verschinen [vergangenen] montags znacht mit einem erschröcklichen erdbidem heimgesuocht. So habent miner gnädigen herren inn statt unnd land alles tantzen, spilen unnd überflüssiges prassen, dessglychen alles geschrei, getümmel , gesang und seittenspil, bis uff die fassnacht by schwärer straff abstricken [unterbinden] und verbieten lassen.

Die komplette Beschreibung Cysats:

  • Renward Cysat, Collectanea Chronica und merkwürdige Sachen pro Chronica Lucernensi et Helvetiae. Bearbeitet von Josef Schmid, Luzern 1969, S. 882-888 (mit der Signatur E.z 12 in der Bibliothek des Staatsarchivs, oder als Download).
  • Von dem grossen und erschröklichen Erdbidem, so sich allhie ze Lucern , wie ouch in aller umbliegender Landschafft, und in andern provinzen tütscher und welscher Nation wytt und breit erzeigt den 18 Septembris dess 1601 jars. Ediert von Josef Schneller, in Der Geschichtsfreund 3 (1846), S. 105-115, (mit der Signatur H 36 in der Bibliothek des Staatsarchivs, oder als Download).

Siehe auch